Macron-Dämmerung
Von Hansgeorg HermannJean-Luc Mélenchon weiß es offenbar schon: Am Donnerstag kündigte der Anführer der französischen Linkspartei La France insoumise (LFI) den Sturz der Regierung des rechten Ministerpräsidenten Michel Barnier an. Ein von seinen Leuten ins Parlament eingebrachtes Misstrauensvotum, das wohl auch die Fraktion des ultrarechten Rassemblement National (RN) der Marine Le Pen unterstützen würde, soll – so der Plan – nicht nur Schluss machen mit einem Premier, den der Präsident Emmanuel Macron den Franzosen unter völliger Missachtung des Wahlergebnisses vom Juli aufdrückte. Das Votum in der Nationalversammlung soll am Mittwoch auch das Ende eines Staatschefs einleiten, der in seiner zweiten Amtszeit den politischen Faden verloren hat. Zwei Drittel der Franzosen verlangen derzeit seine Demission – Macron-Dämmerung.
Eine schwere Staatskrise, die er im Juni mit der Auflösung des Parlaments letztlich selbst einleitete, war in Macrons Nachwahlszenario ganz offensichtlich nicht eingeplant. Eigentlich sollten die vorgezogenen Neuwahlen am 7. Juli die krachende Niederlage seiner rechtsliberalen Koalition Ensemble (Gemeinsam) bei den Wahlen zum EU-Parlament korrigieren und seinem zweiten Mandat – es geht normalerweise im Frühjahr 2027 zu Ende – Luft gegen die anschwellende Macht der extremen Rechten verschaffen. Statt dessen verlor seine Formation gegenüber der Wahl vom Frühjahr 2022 nahezu 100 Sitze in der 577 Köpfe zählenden Nationalversammlung, während Le Pens Gruppe 53 Sitze dazugewann. Als Wahlsieger mit 193 Abgeordneten verlangte die Linkskoalition Nouveau Front Populaire (NFP, Volksfront) – getragen von Mélenchons LFI, dem sozialdemokratischen Parti Socialiste (PS), den Grünen (EELV) und den Kommunisten (PCF) – den Posten des Regierungschefs und präsentierte mit der Finanzexpertin Lucie Castets eine kompetente gemeinsame Kandidatin.
Statt dessen beauftragte der Präsident zwei Monate später Barnier mit der Regierungsbildung – den Kandidaten der bürgerlich-rechten Les Républicains (LR), die bei der Wahl mit 7,25 Prozent der Stimmen und nur noch 46 Mandaten zur Kleinpartei geschrumpft waren. Barnier ist seit dem 5. September nicht nur ein Ministerpräsident ohne jede Chance auf eine irgendwie entscheidungsfähige Minderheitsregierung. Er ist ein Premier, der sich für jede Maßnahme Le Pens RN unterwerfen muss. Der ehemalige EU-Kommissar und EU-Verhandlungsführer beim Brexit war im September mit dem Versprechen angetreten, den maroden Haushalt Frankreichs einigermaßen zu sanieren und das Staatsdefizit von gegenwärtig rund 6,2 Prozent – Rekord in der EU – auf fünf Prozent zu drücken.
Daraus wird wohl erst mal nichts. Obwohl die Schulden des Landes weiter anwachsen und das Finanzkapital, vertreten durch Agenturen wie S&P Global Ratings, inzwischen sogar die ehemaligen »Pleitegriechen« besser bewertet als die Wirtschaftsmacht Frankreich, konnte Barnier bisher keine einzige geplante Sparmaßnahme – etwa eine höhere Besteuerung der Nutzung elektrischer Energie oder die Streichung einiger tausend Stellen im öffentlichen Dienst und im Bildungssektor – auf dem Verhandlungsweg umsetzen. Statt dessen droht Le Pens Rechte, die bisher sein Überleben garantierte, den von der linken Volksfront angekündigten Misstrauensantrag zu unterstützen. Sollte Barnier die Forderungen des RN ignorieren und versuchen, seinen »Sparhaushalt« für 2025 per Dekret durchzusetzen – der Verfassungsartikel 49.3 bietet ihm diese Möglichkeit –, werde seine Regierung stürzen. Zeit, darüber nachzudenken und sich zu entscheiden, habe Le Pen dem Premier bis zu diesem Montag gegeben, berichtete Ende der Woche die Pariser Tageszeitung Le Monde.
Die Kollegen des Le Parisien – ein Blatt des Macron-Spezis Bernard Arnault, der mit seinem Luxuskonzern LVMH zu einem der weltweit reichsten Kapitalisten aufstieg – spannen den Faden sogar noch ein bisschen weiter: Selbst Macron habe kürzlich gegenüber Vertrauten eingeräumt, dass die Regierung »bald und früher als erwartet« fallen werde. Ob er dann als Staatschef zurücktreten werde oder sogar müsste, ist gegenwärtig eine landesweit diskutierte Frage, die am Mittwoch beantwortet werden könnte. Sicher ist bisher, dass sowohl für die Linke als auch für Le Pens Lager, zu dem ein großer Teil der bürgerlichen Rechten gezählt werden muss, der Sturz der Regierung nur eine erste Station ist auf dem Weg, »das Ende der Macronie« herbeizuführen.
Wie es danach weitergehen soll, steht freilich in den Sternen. Keiner der drei politischen Blöcke – Voksfront, extreme Rechte und Macrons Lager – wird auch nach einem Sturz Barniers eine Regierungsmehrheit zusammenbringen. Alle drei blicken deshalb längst über die gegenwärtige Situation hinaus. Zunächst auf den kommenden Juli, wenn – sollte er nicht demissionieren – Macron nach der verfassungsrechtlich geforderten Einjahresfrist die Nationalversammlung erneut auflösen und Neuwahlen dekretieren könnte. Danach aber vor allem auf die nächste Präsidentschaftswahl im Juni 2027. An Kandidaten mangelt es nicht.
Macron selbst lotet offenbar aus, ob er nach einem vorzeitigen Rücktritt während seiner derzeit zweiten, verfassungsrechtlich letzten, aber unvollendeten Amtszeit nicht doch noch einmal antreten könnte. Dann gegen wen? Seinen ehemaligen Ministerpräsidenten Édouard Philippe, seinen früheren Chef François Hollande, der von seinem ersten, missratenen Mandat offenbar nicht die Nase voll hat? Erneut gegen Mélenchon? Oder gegen die derzeit haushohe Favoritin Marine Le Pen, auf die allerdings ein Gerichtsurteil wartet, das ihr einen langjährigen Verlust des aktiven Wahlrechts und das abrupte Ende ihrer politischen Karriere einbringen könnte.
Hintergrund: Au revoir Laizismus
Die politisch-kulturelle Programmatik des französischen Präsidenten Emmanuel Macron hat seit seiner ersten Inthronisierung im Frühjahr 2017 nicht nur für die Durchsetzung einer harschen Privatisierungsideologie gesorgt, sondern auch für eine antiislamische, sprich christliche, zunehmend erzkatholische Veränderung der einst laizistisch geprägten Gesellschaftsstruktur. Nicht nur das in katholisch-jesuitischen Bildungsinstituten sozialisierte Ehepaar Macron steht seit Jahren für eine zunächst ansatzweise unterstützte Revision der Laizistischen Republik, 1905 festgeschrieben im »Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat«. Besonders augenfällig wird die Aufweichung der bisher eisernen Regel in der Medienlandschaft und in den jüngsten, schwerwiegenden Entscheidungen des Staatschefs selbst.
Mit dem erzkatholischen Medienmogul Vincent Bolloré beherrscht einer, der sich selbst als »Retter des Abendlandes« sieht, einen großen Teil der Zeitungs-, TV- und Verlagslandschaft. In den Chefetagen der »Bollosphäre«, wie die der linken Mitte zuzurechnende Pariser Tageszeitung Libération das Reich des Milliardärs beschreibt, sitzen gehorsame Journalisten, die – der Theorie des Faschisten Éric Zemmour folgend – gegen den sich lange angeblich anbahnenden »Bevölkerungsaustausch« (Muslime gegen Christen) anschreiben. Ein katholisch dominiertes Konsortium, angeführt von Bolloré und dessen streng linksfeindlichem Milliardärskollegen Bernard Arnault, kaufte sich jüngst eine der wichtigsten Journalistenschulen des Landes, die Pariser École Supérieure de Journalisme.
Nicht zuletzt Macron ist es anzurechnen, dass im Innenministerium mit Bruno Retailleau nun ein Mann sitzt, dem der katholische Glaube alles, das Gesetz von 1905 offensichtlich wenig und die muslimischen Staatsbürger gar nichts bedeuten. Das französische Volk wolle im Grunde seines (christlich-katholischen) Herzens einen (katholischen) König, mutmaßte Macron zu Beginn seiner Amtszeit in Interviews mit verschiedenen Literaturmagazinen. Man wird es demnächst erfahren. (hgh)
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (1. Dezember 2024 um 22:28 Uhr)Wenn es eine Rangliste der überschätzten Staatsoberhäupter gäbe, stünde Präsident Macron zweifellos an einer der höchsten Stellen – wenn nicht sogar in einer Sonderkategorie der politischen Illusionisten. Seine Redekunst mag auf den ersten Blick beeindruckend wirken, bleibt jedoch inhaltlich hohl und ohne spürbare Wirkung. Die Diskrepanz zwischen seinen ambitionierten Ankündigungen und den tatsächlichen Resultaten ist eklatant. Unter Macrons Führung erlebt Frankreich einen dramatischen Abstieg – sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Die Wirtschaftsdaten sprechen eine klare Sprache: Rekorddefizite, wachsende Staatsschulden und eine stagnierende Industrie untergraben die Position Frankreichs nicht nur in Europa, sondern weltweit. Sein vermeintlicher Reformkurs bleibt Stückwerk, ohne klare Vision oder nachhaltige Strategie. Politisch hat er es geschafft, eine ohnehin fragile nationale Einheit weiter zu polarisieren, während er den Aufstieg der extremen Rechten weder effektiv begrenzen noch ihre gefährliche Nähe zu seiner Regierung konsequent vermeiden konnte. Auch auf internationaler Ebene bleibt Macrons Bilanz ernüchternd. Seine visionären Ideen für die EU, von einer europäischen »strategischen Autonomie« bis hin zur Reform der Union, scheitern regelmäßig an mangelnder Unterstützung oder inkonsistenter Umsetzung. Im Ukraine-Krieg etwa glänzt Macron durch rhetorische Akrobatik, die weder der Diplomatie noch der Sicherheit Europas greifbare Fortschritte gebracht hat. Seine viel gepriesene Führungsrolle wirkt in der Praxis oft wie eine mediale Inszenierung ohne Substanz. Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob Macron sein Mandat bis 2027 durchhalten kann. Angesichts der schwindenden Popularität, einer zunehmend gespaltenen Gesellschaft und eines Parlaments, das sich gegen ihn formiert, erscheint dies immer fraglicher.
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