Rommel kommt voran
Von Marc BebenrothFragen zum folgenschweren terroristischen Anschlag auf die Ostseepipelines beantwortet die Bundesregierung grundsätzlich nicht. Auch von internationalen Ermittlungen zur Sprengung beider Stränge von Nord Stream 1 sowie eines der zwei Stränge von Nord Stream 2 am 26. September 2022 will Berlin nichts wissen. Zur Begründung verweist die Regierung erneut auf die nach wie vor laufenden Ermittlungen der Bundesanwaltschaft.
Wie weit diese nach mehr als zwei Jahren sind, hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Jens Rommel, in der am Wochenende veröffentlichten Ausgabe des Magazins Spiegel durchblicken lassen. Seine Behörde komme »bei der Aufklärung voran«. Mittlerweile zwei Beschuldigte identifiziert zu haben, sei aus Rommels Sicht »ein Erfolg, mit dem anfangs nicht unbedingt zu rechnen war«. Die Hintergründe jenes »erheblichen Angriffs auf die Energieversorgung unseres Landes« und die Motive dahinter seien »noch nicht abschließend ermittelt«. Rommel erklärte, dass die Identität weiterer Beteiligter und »die Frage nach einer etwaigen staatlichen Steuerung der Operation« weiterhin Gegenstand der Ermittlungen seien.
Der zuletzt auch vom Spiegel präferierten Version der Geschichte, wonach angeblich die Segeljacht »Andromeda« von ukrainischen Saboteuren für die Anbringung und Zündung von Sprengladungen in gut 80 Metern Tiefe – ohne Tauchglocke – genutzt worden sein soll, widerspricht der Bundesanwalt nicht. Auf das Szenario angesprochen, erklärte Rommel, sein Ermittlungsverfahren begründe »sich daraus, dass Gasleitungen beschädigt wurden, die einen wichtigen Teil der deutschen Gasversorgung gewährleisten sollten« – »unabhängig von jeder politischen Einordnung«, ergänzte er.
Dem Blatt zufolge, das in einem Bericht vom 20. November auf »vertrauliche Unterlagen aus den Sicherheitsbehörden« verwiesen hatte, sieht das »eindeutige Bild« wie folgt aus: Ein ukrainischer Kommandotrupp aus »Exagenten und zivilen Tauchern« nahm es auf sich, die Pipelines, durch die russisches Erdgas floss bzw. weiteres fließen sollte, zu sabotieren. »In geheimer Mission« sei diese Truppe auf der Ostsee gefahren – dank NATO-Infrastruktur wohl eines der am genausten überwachten Meere der Welt. Das und der Umstand, dass Ermittler Wochen nach dem Anschlag noch Spuren der Sprengstoffe Oktogen und Hexogen »großflächig« auf der Segeljacht verteilt gefunden haben wollen, wird vom Spiegel sowie von anderen Anhängern dieser Version nicht hinterfragt.
Zuletzt hatte sich Springers Welt mit Neuigkeiten zum Anschlag gemeldet. Am Donnerstag berichtete das Blatt exklusiv auf seiner Internetseite, dass »mindestens sechs« Sprengsätze an den Nord-Stream-Pipelines angebracht worden seien. Dies gehe aus »Gerichtsakten und einer Sonaraufnahme« hervor. Ein Sonarbild, das den Artikel illustriert, stammt vom schwedischen Ingenieur Erik Andersson. Dieser hatte mit dem Journalisten Jeffrey Brodsky eine private Expedition zu den Anschlagsorten unternommen, worüber er in seinem Newsletter auf der Plattform »Substack« berichtete.
Andersson halte die »Andromeda«-Version für plausibel, wolle aber nicht ausschließen, dass der Investigativjournalist Seymour Hersh mit seiner Berichterstattung über die CIA als Urheber der Anschläge »trotz Fehlern im Detail grundsätzlich recht behalten könnte«, wie die Le Monde Diplomatique in ihrer deutschsprachigen Oktoberausgabe geschrieben hatte. In beiden Fällen erklärt die Möglichkeit, dass Verbündete der BRD einen »erheblichen Angriff auf die Energieversorgung« dieses Landes verübt hatten, das wohl geringe Interesse an zügiger Aufklärung.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
-
Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. Dezember 2024 um 10:11 Uhr)Wozu noch Ermittlungen? Das Seeungeheuer war’s! Warum sich mit mühsamen Ermittlungen abmühen, wenn die Antwort auf der Hand – oder besser gesagt, im Wasser – liegt? Schon im Altertum wurden unerklärliche Phänomene einfach mit einem Mythos ad acta gelegt. Warum also nicht auch die Pipelinesabotage? Die skandinavischen Sagen bieten genügend kreative Inspirationen: Die Midgardschlange, so gigantisch, dass sie die Welt umspannt, könnte schlicht aus Langeweile zugeschlagen haben. Wer will es ihr verdenken? Nach Äonen im Tiefschlaf darf man sich auch mal ein bisschen Chaos gönnen. Oder war es etwa ein Riesenkraken, der sich seit Jahrhunderten über Überfischung ärgert und nun entschieden hat: »Jetzt reicht’s!« Natürlich dürfen wir die Sirenen aus Homers Odyssee nicht außer Acht lassen. Mit ihrem betörenden Gesang hätten sie problemlos eine chinesische Frachtkette auf die falsche Route locken können – inklusive Kollateralschäden an Internetkabeln. Und wer sagt, dass nicht Skylla und Charybdis längst ihre Tentakel im Spiel haben? Während alle über die »Andromeda«-Story spekulieren, lachen sie sich ins Seegras. Und was sagt uns das über die Ostsee? Traurigerweise fehlt es hier an vergleichbaren Legenden. Zeit, das zu ändern! Der »sprudelnde Blubb« bietet sich an: ein heimtückischer Unterwassergeist, der seit Jahrtausenden unbeachtet im dunklen Nass lauert – bis er merkt, dass ihn die moderne Welt ignoriert. Gekränkt und voller Zorn beschließt er, ein Zeichen zu setzen: »Ihr wollt Energie? Dann schmeiß ich eure Pipelines in die Luft!« Die perfekte Erklärung, warum die Ermittlungen keine Ergebnisse liefern. Am Ende bleibt nur eine Lehre: Wenn etwas unerklärlich ist, hat garantiert irgendein Meeresungeheuer seine Finger – oder Tentakel – im Spiel. Da können die Ermittler einpacken.
Mehr aus: Inland
-
Warnstreiks bei VW beginnen
vom 02.12.2024 -
»Das Verbot basiert auf Unterstellungen«
vom 02.12.2024 -
Vorkaufen statt besetzen
vom 02.12.2024 -
Mit extra viel Rot
vom 02.12.2024 -
Hamburg besiegelt MSC-Deal
vom 02.12.2024 -
Rückgang bei Verkäufen
vom 02.12.2024