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Aus: Ausgabe vom 02.12.2024, Seite 7 / Ausland
Ukraine-Krieg

Selenskij pokert mit NATO

Ukraines Präsident bringt »Waffenstillstand gegen Schutz« ins Spiel. Fahnenflucht aus ukrainischer Armee laut Medienbericht auf Rekordstand
Von Reinhard Lauterbach
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Die Luft wird dünner: Selenksij mit seinem Verteidigungsminister Umjerow (l.) am Freitag in Kiew

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hat sich erstmals zu einem Waffenstillstand bereit erklärt. Dem britischen Fernsehsender Sky News sagte er am Freitag abend, die Ukraine könne einer Waffenruhe zustimmen, wenn sie zuvor »unter den Schutz der NATO« gestellt werde, und zwar einschließlich derjenigen Gebiete, die jetzt russisch besetzt seien. In diesem Fall sei er bereit zum praktischen Verzicht auf die besetzten Gebiete, nicht jedoch zur juristischen Anerkennung dieser Verluste. Bei anderer Gelegenheit hatte Selenskij als Voraussetzung für einen Waffenstillstand die sofortige Einladung zum NATO-Beitritt der Ukraine verlangt.

Er wies auch Forderungen vor allem der USA zurück, die Ukraine solle jüngere Jahrgänge zum Militär einberufen, um die hohen Verluste der letzten Monate auszugleichen. Wenn die Waffenlieferungen weiterhin so zögerlich kämen, so Selenskij am Wochenende in einer Videobotschaft, womit solle er die jungen Leute denn dann an die Front schicken. Bisher gilt in der Ukrai­ne ein Einberufungsalter ab 25 Jahren. Die Kiewer Führung begründet dieses relativ hohe Limit damit, dass die jüngeren Jahrgänge geschont werden müssten, um dem Land nach dem Krieg Kinder zu schenken und so »die ukrainische Nation zu erhalten«.

Nach einer Recherche der US-Nachrichtenagentur AP und des Fachportals Defense News hat die Zahl der Desertionen aus der ukrainischen Armee einen Höchststand erreicht. Zehntausende einberufene Soldaten hätten ihre Einheiten verlassen und versuchten, in den großen Städten des Landes unterzutauchen. Der Bericht spricht von Desertionen in Divisionsstärke. Die Financial Times berichtete am Wochenende, dass sogar ukrainische Wehrpflichtige, die zur Ausbildung nach Polen entsandt wurden, dort desertiert seien, um nicht zurück an die Front geschickt zu werden. Es handelt sich dabei allerdings wohl um Einzelfälle.

Aus den USA gelangen unterdessen immer neue Vorschläge für eine Ukraine-Strategie des künftigen Präsidenten Donald Trump an die Öffentlichkeit. Einstweilen ist keiner von Trump persönlich bestätigt worden; doch aus ihrer Summe lässt sich umreißen, wohin die USA den Konflikt womöglich gern steuern würden. Demnach wäre der eine Teil des US-Vorschlags ein Waffenstillstand entlang des zum Stichtag aktuellen Frontverlaufs; im Gegenzug solle Russland zugestehen, dass der Rest der Ukraine sofort oder später in die NATO aufgenommen werde. Der Export russischer Energieträger solle wieder erlaubt werden, wobei auf die Erlöse eine Sondersteuer erhoben werden solle, um den Wiederaufbau der Ukraine zu finanzieren.

In Moskau wies Präsident Wladimir Putin diese Gedankenspiele am Wochenende zurück. Er sagte, Russland sei an einem vorübergehenden Waffenstillstand nicht interessiert, währenddessen der Westen die Ukraine wieder aufrüsten werde; denkbar sei nur eine Lösung, die die Konfliktursachen auf Dauer aus der Welt schaffe. Das bezieht sich vor allem auf die Annäherung der Ukraine an die NATO, die Moskau verhindern will. Putin sagte, Russland sei nicht gegen Verhandlungen, aber seine Bedingungen seien klar und bereits im Juni dargelegt worden: die Übergabe der vier jetzt teilweise russisch besetzten Regionen sowie die »Demilitarisierung« und »Entnazifizierung« der Ukraine. Putin drohte dem Westen mit weiteren Angriffen der neuentwickelten »Oreschnik«-Rakete auf industrielle Ziele und »Entscheidungszentren« wie Parlament, Generalstab oder Präsidialverwaltung in Kiew. Nach seinen Worten entwickelt die »Oreschnik«-Rakete wegen ihrer hohen Geschwindigkeit eine Zerstörungskraft, die den Einsatz von Atomwaffen überflüssig mache. Für den Fall, dass Kiew sich Atomwaffen verschaffen könnte, werde Russland allerdings sämtliche Mittel einsetzen, um dies zu verhindern.

An der Front setzten russische Truppen ihren Vormarsch im Donbass fort. Sowohl die Stadt Kurachowe als auch die südwestlich davon gelegene Ortschaft Welika Nowosilka sind inzwischen offenbar von drei Seiten eingeschlossen. Ukrainische Militärblogger nannten die Lage dort und im Raum Pokrowsk »beschissen«.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (1. Dezember 2024 um 21:19 Uhr)
    Zum Poker gehört der Bluff wie zum Atmen der Sauerstoff. Doch Selenskij sitzt nicht am Pokertisch, und deshalb sollte er sich auch nicht auf ein solches Spiel einlassen. Sowohl er selbst als auch die Medien sollten inzwischen erkannt haben, dass Russlands Überfall genau deshalb erfolgte, weil die Ukraine eine Annäherung an die NATO suchte. Dies nun erneut als medialen Vorschlag in den Raum zu stellen, ist nicht nur unüberlegt, sondern geradezu absurd – sowohl von Selenskij als auch von den ihn unterstützenden Medien. (…) Angesichts der prekären Lage an der Front sowie der territorial und demografisch massiv geschwächten Ukraine hat Selenskij keine Grundlage, Forderungen zu stellen. Unter seiner Führung seit 2019 hat das Land nahezu vollständig seine Selbstständigkeit verloren. Die Ukraine ist wirtschaftlich nicht überlebensfähig, hoch verschuldet, ausgeplündert und personell nicht in der Lage, die gewaltigen Kriegsschäden selbst zu beseitigen – ebenso wenig, wie es dem Land nach der Unabhängigkeit 1991 gelang, den damaligen Lebensstandard zu halten. Russlands Beschwerden und Ziele waren lange vor Kriegsbeginn klar formuliert. Dieser Krieg hätte verhindert werden können, wenn Biden in Genf Putins Forderungen ernst genommen und eine diplomatische Lösung angestrebt hätte. Warum sollte der Kreml jetzt von seinen ursprünglichen Zielen abweichen oder Kompromisse eingehen? Auch die europäischen Akteure – ob Großbritannien, Frankreich oder Polen – wissen ebenso gut wie Putin, dass die NATO militärisch überwiegend von den USA (etwa 70 % der Stärke) und in gewissem Maße von der Türkei getragen wird. Die übrigen europäischen Staaten, die sich gerne in geopolitischen Muskelspielen hervortun, sind militärisch weitgehend bedeutungslos.

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