Die vielen Gesichter des Jazz
Von Gisela SonnenburgWenn Jazz ein männliches Gesicht hat, dann das von Gebhard Ullmann: beim Jazzen offenbart sich darin die Leidenschaft. Der Vollblutmusiker lebt seit 1983 in Berlin und ist eine international bejubelte Koryphäe. Das Sopransaxophon oder die Bassklarinette spielt er oft mit geschlossenen Augen. Sein schönes Gesicht zeigt dabei die Emotionen und Feinheiten des modernen Jazz. Zusammen mit Anna Viechtl an der Harfe wird er morgen in der von Hannes Zerbe kuratierten Reihe »jW geht Jazz« in der Maigalerie der jungen Welt in Berlin ein ziemlich ungewöhnliches Konzert geben: als Duo Hemisphere 4.
Ullmann ist megabegabt, ein Überflieger, der als Quereinsteiger in den Kunstbetrieb kam. Gebürtig in Bonn, lernte er als Kind, auf der klassischen Querflöte zu spielen – den Eltern zuliebe. Ein Medizinstudium brach er ab. Und auch mehrwöchiger Intensivunterricht beim »Modellversuch Popularmusik« in Hamburg machte ihn nicht wirklich glücklich.
Aber der Jazz! Gebhard Ullmann und der Jazz fanden schnell zusammen und nie wieder auseinander. Warum auch? 1990 schickte der Berliner Senat Ullmann nach New York, das ihm für viele Jahre eine zweite Heimat wurde. Etliche seiner Arbeiten landeten auf den Bestenlisten, renommierte Veranstalter, Kolleginnen und Kollegen reißen sich regelrecht um ihn. Als erster Musiker überhaupt erhielt er 2017 den Berliner Jazzpreis.
Wenn Ullmann spielt, darf Jazz auf eine angenehme Weise nervös machen. Er elektrisiert. Er fährt einem ins Herz. Man erlebt leise Klangwellen, ebenso energiegeladen wie akustische Stürme, die an Vulkanausbrüche erinnern. Dass Ullmann sowohl akustisch als auch elektronisch aufspielt, macht sein Repertoire so vielfältig. Und wenn die Wogen abebben, hat Jazz auf einmal eine ganz beruhigende Wirkung.
Neben den Auftritten wirkt Ullmann auch als Komponist, schuf im Coronajahr 2020 eine Orchestersuite und seine erste Symphonie. Was ihn inspiriert? »Die Natur, gern auch ferne Länder«, sagt er. Auf den Galapagosinseln und in Indien tankt er Kraft und Ideen. Beim Kitesurfen lässt er sich die Winde der Welt ins Gesicht blasen. Ullmanns Gruppe Hemisphere 4 heißt denn auch nach einem geophysischen Begriff, der Erdhalbkugel. Zumeist spielt die Gruppe als Quartett, manchmal aber auch mit sieben Mitgliedern.
In die Maigalerie kommt Hemisphere 4 aber als Duo: mit Ullmann und Anna Viechtl, der klassisch ausgebildeten Harfenistin. Sie spielt sowohl in Orchestern – in Opernhäusern und in der Elbphilharmonie – als auch Jazz oder Elektropop. An der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin, wo sie selbst einst studierte, hat sie einen Lehrauftrag.
Anna Viechtls Gesicht lohnt ebenfalls die ausgiebige Betrachtung. Nicht nur, weil sie bildhübsch ist. Sondern auch, weil sich darin das Gefühl spiegelt, mit dem sie ihre Saiten zupft. Mit Ullmann bildet Viechtl ein versiertes Team, beide beherrschen die Kunst der durchdachten Improvisation. Welche Gesichter der Jazz noch zusätzlich im übertragenen Sinn hat, lässt sich am Dienstag herausfinden. Es sind sicher viele mit einem hinreißenden Lächeln dabei.
Hemisphere 4 am Dienstag, 3. Dezember 2024, um 19.30 Uhr (Einlass ab 18.30 Uhr) in der Maigalerie der jungen Welt, Torstraße 6, 10119 Berlin. Anmeldung unter Tel. 030 53 63 55 54 oder an maigalerie@jungewelt.de
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