Eine permanente Knechtschaft
Von Ron JacobsMumia Abu-Jamal ist einer der bekanntesten politischen Gefangenen der Welt. Er wurde 1982 in einem Verfahren, das durch Rechtsbrüche des Staatsanwalts, Beweisfälschungen und weitere Manipulationen gekennzeichnet war, für den Mord an einem Polizeibeamten in Philadelphia verurteilt und befindet sich heute immer noch in der Strafanstalt SCI Mahanoy in Pennsylvania in Haft. Ungeachtet immer wiederkehrender Gesundheitsprobleme, Zensur und der Unterdrückung, die eine Haftstrafe immer mit sich bringt, schreibt Abu-Jamal auch weiterhin über zahlreiche Themen wie Masseneinkerkerung, Krieg, weißen Überlegenheitswahn und Politik ganz generell.
Abu-Jamals kontinuierliche Beiträge zu all diesen Themen haben geholfen, seine Einkerkerung, die vieler weiterer politischer Gefangener in den USA und den Charakter des gefängnisindustriellen Komplexes in den USA im Fokus der Öffentlichkeit zu halten. Zu diesen Beiträgen gehören preisgekrönte Bücher, der Zensur zum Opfer gefallene Radiosendungen, Interviews, Reden für die Abschlussfeiern von Universitätsabsolventen und anderes mehr. Abu-Jamal tat all das trotz der nicht enden wollenden Versuche des repressiven Staatsapparats, vom US-Justizministerium bis zur US-amerikanischen Polizei»gewerkschaft« Fraternal Order of Police (FOP), ihn zum Schweigen zu bringen.
System der Sklaverei
Für diejenigen, die nicht wissen, worum es sich bei der FOP handelt, sage ich es so einfach wie möglich: Die FOP ist eine extrem rechte, geradezu faschistische Organisation, die die Polizei als über dem Gesetz stehend betrachtet und in den Vereinigten Staaten mehr als 350.000 Mitglieder hat. Wann immer in den USA ein Mensch von Polizeibeamten erschossen wird, kann man sich sicher sein, dass letztere die volle Unterstützung der FOP genießen werden – jedenfalls war das bisher noch fast immer so.
Der Verlag City Lights in San Francisco hat kürzlich ein Buch mit dem Titel »Beneath the Mountain. An Anti-Prison Reader« veröffentlicht. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Ausschnitten aus Essays, Reden und anderen Texten über das Wesen und die Entwicklung der Sklaverei und des Gefängniswesens im Lauf der Geschichte der USA. Die ausgewählten Textpassagen vertreten einen radikalen Ansatz und liefern in ihrer Gesamtheit ein eloquentes und klares Argument für die Abschaffung der Gefängnisse, ein Vorhaben, das in Anlehnung an die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei mittlerweile oft einfach »Abolition« genannt wird.
Genau wie die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei in den Vereinigten Staaten von der grundlegenden Prämisse ausging, dass so etwas wie eine gute Form der Sklaverei nicht existiert, geht die moderne Bewegung zur Abschaffung der Gefängnisse von der Prämisse aus, dass es auch so etwas wie ein »gutes Gefängnis« nicht gibt. Wie der Reader »Beneath the Mountain« klarmacht, gilt dies um so mehr, wenn das betreffende System der Einkerkerung von Millionen von Menschen im wesentlichen eine Fortsetzung des bereits erwähnten Systems der Sklaverei ist. Ich sollte das noch einmal wiederholen: Das Gefängnissystem der USA ist eine Fortsetzung des Systems der Besitzsklaverei – eines Systems, das auf der Entführung, dem Verkauf und der permanenten Knechtschaft afrikanischer Männer und Frauen sowie ihrer Kinder und Nachkommen für den Profit der mächtigen europäischen Kolonisatoren und deren Nachkommen basierte.
Masseneinkerkerung
Nach vielen Jahren eines Kampfes, der in einem brutalen und blutigen Bürgerkrieg kulminierte, gab die US-Regierung unter Abraham Lincoln schließlich die Emanzipationserklärung heraus. Diese offizielle Proklamation verkündete nicht nur, dass »sämtliche Personen, die innerhalb der betreffenden Staaten und Teile von Staaten als Sklaven gehalten werden, jetzt und fortan frei sein werden«, sondern vernichtete auch ein Kapital im Wert von Abermillionen, das die Sklavenhalter bis dahin in Gestalt der Sklaven besessen hatten. Es dauerte nicht lang, bis die Sklavenhalter andere Wege gefunden hatten, dafür zu sorgen, dass ihr »Eigentum« weiter für sie schuftete. Im weiteren Verlauf der Geschichte verwandelte sich diese nach der Sklaverei entstandene Realität in das heutige System der Masseneinkerkerung.
Eine der Absichten dieses Buchs besteht darin, die Kontinuität dieses Projekts der seitens der weißen Gesellschaft ausgeübten rassistischen Repression sichtbar zu machen. Ein noch wichtigeres Anliegen des Buchs ist es, den ununterbrochenen Widerstand gegen dieses Projekt zu zeigen. Das Leben Mumia Abu-Jamals ist ein Musterbeispiel für diesen Widerstand. Der Leser beginnt seine Reise mit zwei kurzen Texten von Sklaven, die Widerstand leisteten: Der erste stammt von Ona »Oney« Judge Staines, deren Sklavenhalter George und Martha Washington waren, der zweite von Nat Turner, der 1831 im County Southampton in Virginia einen Aufstand gegen diverse Sklavenhalter anführte. Dieser Aufstand endete mit seiner Gefangennahme und Hinrichtung, dient aber bis heute auf der ganzen Welt Kämpfern gegen Repression als Beispiel.
Anleitung und Inspiration
Das Buch bietet viele weitere solche Beispiele in Gestalt von Texten einer ganzen Liste nordamerikanischer Kämpferinnen und Kämpfer gegen Unterdrückung; sie umspannen einen Großteil der Dauer der kolonialen und US-Präsenz auf dem Kontinent: Frederick Douglass, John Brown, Mother Jones, Nicola Sacco, Angelo Herndon, die Rosenbergs, Martin Luther King Jr., Malcolm X und Elijah Muhammad, Angela Davis und George Jackson, Martin Sostre, Assata Shakur, Rita »Bo« Brown, Safiya Asya Bukhari, Eve Goldberg und Linda Evans, Mumia, Russell »Maroon« Shoatz, das Free Alabama Movement, Ed Mead, Safear Ness und Robert Saleem Holbrook.
Wie der Leser sehen kann, gehören zu dieser Aufzählung Abolitionisten der Sklaverei, Gewerkschaftsführer, Kommunisten, Aktivisten im Kampf für die Befreiung der Schwarzen, Antiimperialisten, Gefängnisorganisatoren und Kämpfer für die Abschaffung der Gefängnisse. Der Titel ist eine Anleihe aus einem Kommentar der politischen Gefangenen Angela Davis, nachdem sie 1972 von ihrer Anklage wegen Verschwörung und Mord freigesprochen worden war. Jeder Text wird durch eine kurze Einleitung eingeführt, die skizziert, wer der Sprecher bzw. Autor ist und so erklärt, warum der Text in die Sammlung aufgenommen wurde.
»Beneath the Mountain« ist mehr als nur eine Sammlung von Vignetten aus einer US-Geschichte von unten; das Buch ist zugleich eine Einführung in diese Geschichte, eine nützliche Anleitung und eine Inspiration. In einer Zeit, in der schon um einiges zahmere Versionen dieser Variante von Geschichtsschreibung zensiert, verboten und aus Schulen, Büchereien und Universitäten überall in den USA entfernt werden, ist eine solche Publikation nicht nur wichtig, sondern geradezu unverzichtbar.
Übersetzung: Michael Schiffmann
Die Antigefängnisaktivistin und Mitherausgeberin Jennifer Black wird auf der 30. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11. Januar 2025 zum Fall des politischen Gefangenen Mumia Abu-Jamal sprechen
Mumia Abu-Jamal, Jennifer Black (Hrsg.): Beneath the Mountain: An Anti-Prison Reader. City Lights, San Francisco 2024, 496 Seiten, 24,95 US-Dollar
Ron Jacobs ist Autor mehrerer Bücher, darunter »Woher der Wind weht. Eine Geschichte des Weather Underground«, der Romantrilogie »Short Order Frame Up«, »The Co-Conspirator’s Tale« und »All the Sinners Saints«, deren dritter Teil in Deutschland spielt, und zuletzt »Nowhere Land: Journeys Through a Broken Nation«. Er ist einer der bekanntesten linken Schriftsteller der USA und schreibt regelmäßig für die progressive Plattform Counterpunch, auf der auch das Original dieser Besprechung erschien.
https://www.counterpunch.org/2024/11/01/resisting-slavery-resisting-incarceration/
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Leserbrief von Franz (2. Dezember 2024 um 10:42 Uhr)Kamala Harris ist eine Lobbyistin der Gefängnisindustrie, schon immer gewesen.
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