»Kämpfen mit dem Blick von außen«
Von Barbara EderIhr Dokumentarfilm »Narcissism – The Auto-Erotic Images« handelt von Selbstliebe unter queeren Frauen und LGBTIA+-Personen. Was ist das spezifische Problem mit weiblichem Narzissmus?
Narzissmus ist toll, solange du niemandem damit schadest – so einfach kann eine Definition manchmal sein. Das ist der positive Narzissmus – im Sinne einer Selbstliebe, die nur für dich ist. Das Abturnende des Narzissmusbegriffs kommt von Sigmund Freud. Frauen, die sich am eigenen Spiegelbild ergötzten oder sogar masturbierten, wurden von ihm als pervers und abartig etikettiert, obwohl sie etwas taten, das doch eigentlich ganz normal ist. Der Narzissmusbegriff hat seine negative Prägung nicht verloren, und die Küchenpsychologie aus Frauenzeitschriften trägt maßgeblich dazu bei. Es gibt eine positive Form von Narzissmus, doch der Subtext meines Films ist Selbstliebe. Darum geht es: dich selbst zu lieben und nicht, dich selbst zu überhöhen.
War es schwierig, Darstellerinnen für den Film zu finden?
Wenn du sagst, du machst einen Film über Narzissmus, gibt es viele Vorurteile. Warum machst du diesen Film? Da würde ich nie mitmachen, weil ich keine Narzisstin bin – das waren die ersten Reaktionen. Im Film kommen queere Menschen vor, die sich nicht dafür schämen, sondern das positive Potenzial des Narzissmus für sich entdeckt haben. Nach dem Film hat sich in meinem Umfeld viel getan. Viele haben etwas davon mitgenommen, nicht nur die, die vor der Kamera gesprochen haben, sondern auch das Publikum. Als der Film in Wien lief, ist in der zehnten Reihe eine Frau Mitte 70 neben ihrem Freund während der Diskussion aufgestanden, hat gejubelt und applaudiert. Daran habe ich gemerkt, dass es nicht nur ein queerer Film ist, sondern auch einer für heterosexuelle Frauen. Mein Film wird oft als Dokumentation über eine sexpositive Szene in Berlin behandelt. In Wahrheit ist es aber ein feministischer Film – für alle, die nicht weiß und heteromännlich sind.
Männliche Subjektfiguren des Narzissmus reichen vom Dandy bis zu Don Juan. Welche queerfeministischen Repräsentationen setzen Sie diesen entgegen?
Das Setting im Film ist ein besonderes: Der Drehort war ein Dachboden aus dem Jahr 1929, mit den Lampen von damals und alten Bakelitsteckdosen. Der Vergleich mit Oscar Wildes »Das Bildnis des Dorian Gray« drängt sich auf. Der Protagonist lässt darin ein Porträt an seiner Stelle altern. Er kann den Anblick des Bildnisses irgendwann nicht mehr ertragen und verbannt es auf den Dachboden – dort beginnt mein Film. Ich habe die Darsteller*innen nicht zu Hause vor ihrer Bücherwand besucht, statt dessen sind alle in diesen Raum gekommen und mussten erst mal diese Vibes spüren, diese Zeitlosigkeit. Die Protagonist*innen sollten die Atmosphäre des Ortes aufsaugen und dann ein Verhältnis zum Spiegel am Dachboden aufbauen. Für viele war das im ersten Moment schwierig, sie fanden es komisch, sich im Spiegel anzuschauen, während sie von mir fotografiert wurden. Aber der Dachboden hat dann sein übriges getan. Alle haben sich auf den Prozess eingelassen. Sie haben nicht mich angeguckt, sondern sich – so intensiv, wie sie sich in den letzten zehn Jahren nicht im Spiegel angeguckt hatten. Für alle war das eine tolle Erfahrung – erst recht, als sie die Fotos von sich gesehen haben.
Ihr Film arbeitet auch den Mechanismen lesbischer Unsichtbarkeit entgegen.
Die heteronormative Sicht auf Lesben ist teilweise immer noch stark ausgeprägt. Dass Lesben eigentlich nur als Objekt in Mainstreampornos vorkommen, liegt in der Natur der Sache – mit dem Resultat, dass am Ende dann doch noch ein Mann kommt, auf den sie abfahren. Es fällt schon schwer, lesbische Sichtbarkeit zu erzeugen, wenn sie nicht mal in den eigenen Reihen gefördert wird. Innerhalb der Frauenbewegung waren es oft die lesbischen Mitstreiterinnen, die den Kopf in den Wind gestreckt und dadurch vieles erreicht haben. Der Dank ist vielfach ausgeblieben, statt dessen gab es oft Anfeindungen. Eine lesbische Frau wie Alice Schwarzer hat jahrzehntelang im Schrank gelebt, weil sie gedacht hat, dass es den Erfolgen der Frauenbewegung schaden könnte, wenn sie als Lesbe auftritt. Das kann man ihr erst mal auch nicht vorwerfen, es war auch eine strategische Abwägung.
Im Film äußert der Inter*-Performer Del LaGrace Volcano einen interessanten Gedanken. Er sagt, dass die Brille, die die Außenwelt auf ihn richtet, keine gute Optik hinterlässt. Wie wirkt die Fremdwahrnehmung auf die Selbstbilder im Spiegel zurück?
Eigentlich musst du immer kämpfen mit dem Blick von außen. Eine Protagonistin, die im Film nicht vorkommt, hat mir unter vorgehaltener Hand gesagt, dass sie ihr eigenes Spiegelbild nicht erträgt. Ich habe mich nicht getraut, nachzufragen, denn das ist ja ihre Sache. Meiner Meinung nach hat es aber mit diesem Blick von außen zu tun, dass du dich im Spiegel nicht sehen kannst, weil du der Meinung bist, dass du hässlich oder ungenügend bist oder sonst wie aussiehst. Del LaGrace Volcano meint etwas Ähnliches. Er überwindet diese Barriere bewusst und macht Kunst damit. Scheißegal, wie der äußere Blick auf ihn ist.
Die Sexarbeiterin Lexi Vir, die ebenso im Film vorkommt, hat ein ganz anderes Verhältnis zu den Bildern, die sie von sich in Umlauf bringt.
Lexi Vir hat eine klare Abtrennung zu dem, was sie ist, wenn sie nicht Lexi ist. Lexi ist auch Sexworkerin, und das ist ihr Business. Sie hat ganz viel Selbstbewusstsein durch diesen Job und dadurch bekommen, dass sie als Content Creator ihre eigenen Fotos macht. Zuvor hat sie stark an sich und ihrem Körper gezweifelt – als Afroamerikanerin, die in Berlin als Sexarbeiterin lebt. Sie selbst steuert jedoch das Bild, das sie nach außen abgeben will.
In der letzten Filmszene rücken Sie sich selbst ins Bild. Warum?
Anfangs wollte ich auf keinen Fall in meinem Film erscheinen. Ich wollte weder narzisstisch sein, noch mich in den Vordergrund stellen. Nachdem ich die Interviews mit den Protagonist*innen geführt hatte, habe ich beschlossen, auf den letzten Metern dann doch noch aufzutauchen. Für mich und auch für die anderen Protagonistinnen war das ein spannender Prozess – gerade weil wir damit strugglen. Zu meinem Bild im Film habe ich mittels Texteinblendungen Eigenschaften hinzugefügt, die gesellschaftlich unerwünscht sind – so etwa sexpositiv oder pervers. Diese Attribute habe ich mir selbst zugeschrieben und mich auf diese Weise sichtbar gemacht. Der Gedanke der eigenen Grandiosität wird Männern oft von klein auf beigebracht, auch wenn gar nichts groß da ist, bei Frauen hingegen passiert das Gegenteil. Als Lesben sind wir in dieser Gesellschaft nicht gefragt genug – nicht unsere Meinungen, nicht unsere Körper, nicht unsere Gefühle, nicht unsere Liebe. Wir, die wir eigentlich nicht ins Bild passen, sollten erst mal auf den Putz hauen und mehr Narzissmus wagen.
Narcissism – The Auto-Erotic Images, Regie: Toni Karat, BRD 2022, 90 Min.
Der Film ist abseits von Festivals auch im Streamingangebot auf Amazon Prime und Sooner zu sehen
Toni Karat studierte Freie Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf und an der Hochschule der Künste Berlin. Er/sie ist Filmemacherin, Fotografin, Musikerin, Gründerin zweier Indie-Bands in den 1990er Jahren. Aktuell komponiert Toni Karat Filmmusik. 2017 gründete er/sie die Produktionsfirma Melting Point Images Film- und Fotomanufaktur. Kurzfilme wie »Driven«, »The Mirror«, »Endzeit Berlin« oder »Fag-Dyke Cruising« laufen weltweit auf FestivalsSolidarität jetzt!
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