»Wir müssen einen Politikwechsel anstreben«
Interview: Gitta DüperthalEtwa 450 Teilnehmende debattierten beim bundesweiten Friedensratschlag vergangenes Wochenende in Kassel zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen ab 2026 in Deutschland. Militärs und »Kriegstüchtigkeit« befürwortende Parteien konstatieren, dass Russland sich bereits im Krieg mit dem Westen sieht. Aber ordnet sich auch die EU als Kriegspartei ein? Wie real ist die Kriegsgefahr?
Die Lage ist bedrohlich: Michael Schulenburg, Abgeordneter im EU-Parlament, referierte in Kassel dazu. Er sagte, dass die EU sich zur Kriegsformation entwickelt, den Krieg eher befeuert, statt eine Friedensperspektive einzuschlagen. Kaum mehr ist zu leugnen, dass Militärs der EU im Krieg in der Ukraine selbst, in europäischen Staaten und an deren Grenzen mehr oder weniger verdeckt agieren. Folglich ist die EU in das Kriegsgeschehen involviert. Der 31. bundesweite Friedensratschlag fand insofern in zugespitzter Situation statt, gekennzeichnet durch die Ausweitung eines bisherigen Stellvertreterkrieges zwischen der NATO und Russland, hin zu direkter militärischer Konfrontation. Die Gefahr einer Eskalation zum Atomkrieg war noch nie so groß wie aktuell. Die von Deutschland unterstützten israelischen Kriege drohen sich zum Flächenbrand auszuweiten.
Wie wird der beginnende Bundestagswahlkampf in der Hinsicht gewertet?
Egal, ob der künftige Bundeskanzler Scholz oder Merz heißen wird: Keiner von beiden wird uns retten. Deshalb werden wir uns mit allen Mitteln dafür einsetzen und werben, jetzt eine Friedensperspektive einzuschlagen. In den Wahlkampf wollen wir jetzt eingreifen. Je klarer die Eskalation wird, desto deutlicher wird sich die Bevölkerung für Abrüstung aussprechen. Die Krise spürt sie bereits. Schon jetzt fehlt im Bundeshaushalt Geld für Soziales, Bildung und Erziehung sowie für die Infrastruktur. Die ökonomische Situation wird sich weiter verschlechtern. Wir müssen sofort einen grundsätzlichen Politikwechsel hin zur Friedensperspektive anstreben.
Wie wollen Sie jene Teile der Bevölkerung erreichen, die dem Kanon der Abschreckung anhängen, der da heißt: Besäßen wir nur genug und ausreichend gefährliche Waffen, wären wir »in Sicherheit«?
Die Zeit der Begeisterung für die »Zeitenwende« und die Erreichung von Frieden mit militärischen Mitteln ist nach Jahren des Elends und Tötens im Krieg vorbei. Mit der Euphorie dafür ist es vorbei. Es ist unwahrscheinlich, dass eine Mehrheit dabei bleiben wird, wenn immer offensichtlicher wird, wie angespannt die Lage jetzt schon ist. Wir werden am Aktionstag kommenden Sonnabend für unseren »Berliner Appell« Unterschriften sammeln und die Menschen aktiv ansprechen.
Warum wird die naheliegende Einsicht bislang kaum diskutiert, dass die Bundesrepublik mit der Stationierung der Mittelstreckenraketen erst zur Zielscheibe werden könnte?
Darüber wird schon geredet, finde ich. Putin hat darauf hingewiesen, dass innerhalb von 15 Minuten Raketen in Ramstein einschlagen können. Und angesichts der zunehmenden Verelendungssituation versucht mittlerweile sogar die SPD, mit dem Thema Frieden ihre Reputation im Wahlkampf zu steigern. Das zeigt, dass wir nicht so weit weg von den geführten Debatten sind.
Wie kann die Friedensbewegung ihren gesellschaftlichen Einfluss steigern, um politischen Druck hin zu einer neuen Entspannungspolitik aufzubauen? Derzeit ist sie eher wenig sichtbar, oder?
Zusammen mit örtlichen Initiativen wollen wir eine stabile Friedensbewegung auf die Straße bringen. An gesteigerter Teilnahme am diesjährigen Friedensratschlag ist zu merken, dass das Interesse bereits zunimmt. Bundesweit planen wir konkrete Schritte: Zum Beispiel wollen wir am 29. März in Wiesbaden vor Ort demonstrieren, wo seit 2021 eine sogenannte Multi-Domain Task Force der USA stationiert ist, die die Raketen im Ernstfall einsetzen soll. Bei Wahlkampfveranstaltungen wollen wir uns einmischen, um die politische Auseinandersetzung um Krieg und Frieden voranzutreiben. So können wir mehr Menschen erreichen, motivieren und mobilisieren, mit uns gemeinsam gegen Waffenlieferungen und Kriegspropaganda zu protestieren.
Willi van Ooyen ist Kosprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag
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