Beschleunigte Sippenhaftung
Von Felix BartelsSippenhaftung ist so alt wie die Sippe selbst. Eine durchaus archaische Verkehrsform, das Vorpolitische bleibt ein wesentliches Element des Politischen: Wer dranhängt, ist mit Schuld. Man prügelt den Hund, weil man den Herrn nicht zu fassen bekommt. Waren aus betreffenden Ländern werden boykottiert, Künstler oder Sportler von internationalen Veranstaltungen ausgeschlossen. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat man neue Tiefen erklommen. Flächendeckend sind russische Staatsbürger mit Sanktionen belegt worden, die deren persönlichen Fortgang beeinträchtigen.
Die Praxis folgt dem Narrativ der Zeitwende, demnach der Überfall auf die Ukraine das Überschreiten einer roten Linie markiere, eine seit 1945 nicht dagewesene Ungeheuerlichkeit. Nie waren Staatsbürger der USA für die kriegerischen Handlungen ihres Landes verantwortlich gemacht worden, es scheint das natürliche Vorrecht von NATO-Staaten, anderen Ländern vermittels militärischer Intervention ihren Willen aufzuzwingen. Die Europäische Organisation für Kernforschung (CERN) hat verhältnismäßig spät reagiert. Der in Genf ansässige Betreiber der weltweit größten Forschungsanlage für Teilchenphysik hat Ende November die Zusammenarbeit mit russischen Forschern eingestellt, wurde nun vermeldet.
Am CERN arbeiten derzeit Tausende Wissenschaftler aus insgesamt 24 Mitgliedsländern. Die Projekte dort begleiten den leistungsstärksten Teilchenbeschleuniger der Welt: Der ringförmig angelegte, rund 100 Meter unter der Erde gelegene Large Hadron Collider (LHC) beschleunigt in seiner 27 Kilometer langen Röhre Protonen auf beinahe Lichtgeschwindigkeit und lässt die Teilchen dann kollidieren. Die Kollisionen dienen der Erforschung von physikalischen Zusammenhängen, nicht zuletzt solchen, die mit der Entstehung des Universums zu tun haben.
Etwa 1.000 Wissenschaftler aus Russland haben in der Vergangenheit mit CERN zusammengearbeitet, auch während des Kalten Kriegs gab es unausgesetzt Kooperationen mit sowjetischen Forschern. Die jetzige Maßnahme hinterlässt Lücken, die zum Teil schwer zu schließen sein werden. Beate Heinemann, Direktorin für den Bereich Teilchenphysik am Deutschen Elektronen-Synchrotron Desy in Hamburg – ein Institut, das ebenfalls Teilchenbeschleuniger betreibt und eng mit CERN arbeitet –, weist gegenüber dpa auf die große Expertise russischer Forscher bei Ingenieurswissenschaften hin. »Es ist nicht so, dass bestimmte Forschung durch das Ende der Zusammenarbeit nun unmöglich wird, aber es macht die Sache schwieriger, und es könnte zu Verzögerungen kommen.«
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (4. Dezember 2024 um 22:34 Uhr)Der nächste Schuss ins Knie? Wenn man die russischen WissenschaftlerInnen ausschließt, nimmt man ihnen zwar die neuesten Erkenntnisse weg, könnte aber selber neue Erkenntnisse nicht gewinnen können. Wissenschaft an der vordersten Front der Erkenntnis braucht Kooperation und internationale Zusammenarbeit und öffentliche Verfügbarkeit aller Ergebnisse. Was soll man von Krämerseelen der wertewestlichen Art anderes erwarten als: »Neue und disruptive Technologien (EDTs): Die Wahrung eines technologischen Vorsprungs ist letztlich die Grundlage für die Fähigkeit der NATO zur Abschreckung und Verteidigung angesichts potenzieller Bedrohungen. EDTs stellen für die NATO eine grundlegende Herausforderung dar – bei richtiger Nutzung jedoch auch eine Chance. Es bedarf hier eines strategischen Vorstoßes, um zu verhindern, dass Gegner einen Wettbewerbsvorteil erlangen, und ansonsten die Fähigkeit der NATO beeinträchtigt würde, auf dem Gefechtsfeld zu gewinnen, die strategische Stabilität bedroht wäre und die Grundlagen der Abschreckung verändert würden.« (NATO 2030: Geeint in ein neues Zeitalter; Analyse und Empfehlungen der vom NATO-Generalsekretär eingesetzten Reflexionsgruppe; 25. November 2020, Seite 31)
Ähnliche:
- 26.01.2023
Teilchenphysik in der Warteschleife
Regio:
Mehr aus: Natur & Wissenschaft
-
Schwächelnder Golfstrom
vom 03.12.2024