Dax klettert, Industrie stürzt ab
Von Niki UhlmannDer 3. Dezember 2024 ist neun Stunden und 55 Minuten alt, als Börsianer in Frankfurt am Main mit Euro-Zeichen in den Augen Freudentränen weinen. Der Dax ist auf ein Allzeithoch geklettert. Zum ersten Mal seit 1988 reißt der Leitindex der 40 größten und liquidesten Unternehmen des deutschen Aktienmarktes die Marke von 20.000 Punkten, gipfelt bei 20.038 und gibt dann wieder nach. Schon am Vorabend wurde ein Rekord erreicht.
Die Annahme liegt nahe, dass das Kapital in der BRD floriert, doch das ist bloß die halbe Wahrheit. Die deutsche Volkswirtschaft ist krisengeschüttelt wie lange nicht, und nicht mal alle Dax-Konzerne haben Grund zum Jubel. Einen Höchststand erreichten im Oktober auch die angemeldeten Insolvenzen. Im dritten Quartal 2024 waren mit 3.991 Unternehmen so viele zahlungsunfähig wie seit Jahren nicht, hatte das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (Saale) bereits Anfang November mitgeteilt. Betroffen seien 11.000 Beschäftigte. Schlechte Aussichten blühen vor allem den Lohnempfängern in der Autoindustrie. Gewinneinbrüche bei BMW, Mercedes und VW – allesamt Dax-gelistete Unternehmen. Volkswagen hat Lohnkürzungen, Werkschließungen und Massenentlassungen angekündigt. »Bis zu 30.000 Stellen« könnten gestrichen werden, mutmaßte die Wirtschaftswoche schon im September. Konkurrenten und Zulieferer präsentierten ihrerseits Kürzungspläne. Erste Einsicht: Den Dax und die internationalen Finanziers kümmert die Wirtschaftsflaute vorerst wenig.
Irgendeinen Grund muss die Euphorie der Anleger allerdings haben. Zwei Gründe werden derzeit in der Wirtschaftspresse angeführt. Zunächst würden sinkende Leitzinsen in den USA und im Euro-Raum Anleger investitionsfreudig stimmen. Zudem sei nicht auszuschließen, dass der Dax aktuell von der Haushaltskrise in Frankreich profitiere. Kapital würde dort abgezogen und hier investiert. Stefan Riße, Anlagestratege beim Vermögensverwalter Acatis, nannte am Dienstag auf tagesschau.de derweil einen weiteren Grund: »Die Großen machen ihr Geschäft nur zu Teilen in Deutschland und ansonsten im Rest der Welt.« Erfasse die Rezession allerdings künftig auch die USA oder China, sei mit Enttäuschungen zu rechnen, die, das sagt der Mann nicht, eine Handvoll Milliardäre besser verkraften dürfte als ein ganzes Heer Arbeitsloser. Zweite Einsicht: Die deutschen Multis kümmern Massenentlassungen in der Bundesrepublik wenig. Ihr Geld verdienen sie anderswo – vorerst.
Wer ist gemeint? Versicherer wie die Allianz und die Münchener Rück, der Technologiekonzern SAP, der Industriemoloch Siemens und natürlich die staatlich subventionierte Waffenschmiede Rheinmetall. »Die deutschen Problembranchen, insbesondere die Automobilindustrie, haben nur noch einen sehr geringen Prozentanteil am Dax«, sagte Deka-Bank-Chefvolkswirt Ulrich Kater am Dienstag gegenüber dpa. Dritte Einsicht: Autolands Karren steckt im Dreck.
Sabrina Reeh, Fondsmanagerin für deutsche Aktien bei der DWS Group, erwartet derweil keine weitere Aufwärtsentwicklung: »Nicht die aktuelle Lage in Deutschland und Europa befeuert den Durchbruch der 20.000-Marke, sondern die Sogwirkung der globalen Konjunktur«, wird sie bei Reuters zitiert. Kann also sein, dass der Dax bald schon den Weg nach unten antritt. Den Beschäftigten kann das eher egal sein. Die sehen von dem Reichtum, den sie produzieren und produzieren werden, ohnehin kaum etwas.
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