Keine Gerechtigkeit in Bhopal
Von Thomas BergerZum 40. Jahrestag der Chemiekatastrophe am Dienstag besuchten Reporter der Times of India einige der überlebenden Opfer, die bis heute unter den Spätfolgen leiden: zum Beispiel Nahid, die beim größten indischen Industrieunglück dieser Art erst acht Monate jung war. Jetzt ist sie vierfache Mutter, kümmert sich um einen Sohn und drei Töchter. 2021 erhielt sie eine Krebsdiagnose. »Ich will nicht sterben. Was wird dann aus meinen Kindern?« erzählt sie. Ihr Onkel ist bereits an einer Krebserkrankung gestorben. Ebenso wie Manju Sahu, nur 40 Jahre alt, die vor drei Monaten starb und mit deren Witwer Bunty Sahu die Reporter ebenfalls sprachen. Dessen jüngerer 42jähriger Bruder Dinesh hat zwar eine neue Niere bekommen. Doch weil die Transplantation letztlich nicht erfolgreich war, ist er seither auf Dialyse angewiesen.
In der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember 1984 hatte sich aus einem lecken Tank der damaligen Pestizidfabrik des US-Konzerns Union Carbide Corporation im zentralindischen Bhopal eine giftige Gaswolke in der Umgebung ausgebreitet. Hauptbestandteil war Methylisocyanat, eine sehr reaktive chemische Verbindung. 5.479 Todesopfer waren unmittelbar zu beklagen, auf 500.000 wird die Gesamtzahl der Betroffenen in der zentralindischen Millionenstadt bis heute geschätzt. Dort gingen am Dienstag Überlebende und Angehörige aus Protest auf die Straße.
Allein 37.000 Menschen, die unter Spätfolgen leiden, sind bei der Sambhavna Trust Clinic, die kostenlose Behandlungen anbietet, als Patienten registriert. Überlebende der Katastrophe und Mitarbeiter der Klinik hatten bereits Montag abend am ehemaligen Union-Carbide-Gelände eine Mahnwache abgehalten, berichtete die Agentur PTI. Auch nach vier Jahrzehnten erhalten weiterhin nicht alle Betroffenen die notwendige medizinische Betreuung, was zu nochmals mehr vorzeitigen Sterbefällen führt. Insgesamt könnten es etwa 150.000 Menschen sein, die durch Kontakt mit der Gaswolke bis heute unter chronischen Schädigungen leiden, schätzt Klinikmitarbeiter Umakant Joshi gegenüber PTI. Hinzu kommt der giftige Müll von Union Carbide, der weiterhin die Umwelt und vor allem das Grundwasser verseucht.
Besonders betroffen von gesundheitlichen Schäden sind Männer über 21 Jahren, berichtete die Hindustan Times am Dienstag unter Verweis auf eine Studie vom Juli 2023. Doch dass wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Unfall veröffentlicht werden, ist selten. Das kritisierte auch die Sambhavna Trust Clinic in einer Erklärung vom Montag. Darin wirft sie die Frage auf, warum die zuständige Behörde für medizinische Forschung, der Indian Council of Medical Research, Unterlagen von 27 Studien weiter unter Verschluss hält, statt die Erkenntnisse mit Ärzten zu teilen, die sich um Geschädigte kümmern. Die Untersuchungen waren in der ersten Zeit nach der Katastrophe zwischen 1985 und 1993 angefertigt worden.
Neben politisch-institutionellem Versagen indischer Stellen sind auch die Zuständigen in den Konzernen – Union Carbide wurde 2001 von dem multinationalen Riesen Dow Chemical geschluckt – nie wirklich juristisch zur Verantwortung gezogen worden. Einzelne Schuldsprüche endeten letztlich in der Aufhebung drohender Haftstrafen. Betreffende Personen blieben gegen Kaution auf freiem Fuß. Von einer Geschichte des »Umweltrassismus« spricht deshalb Amnesty International. Gerade der neue Mutterkonzern in den USA habe sich immer von einer Mitverantwortung distanziert. Auf einem der Proteste zum Jahrestag richtete Rashida Bee, Präsidentin der Betroffenenorganisation Bhopal Gas Peedit Mahila Stationery Karmchari Sangh, einen Appell an den designierten US-Präsidenten, die Verantwortlichen doch endlich zur Rechenschaft zu ziehen. Schließlich hätten alle bisherigen Präsidenten sich dafür eingesetzt, Manager der US-Konzerne vor einer Strafverfolgung in Indien zu schützen, zitierte der indische Business Standard sie am Dienstag.
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