Freunde fürs Grobe
Von Reinhard LauterbachAuf dem »Euromaidan« Anfang 2014 vermied es der damalige Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) in auffälliger Weise, mit dem Anführer der faschistischen Swoboda-Partei, Oleg Tjagnibok, fotografiert zu werden. Acht Jahre später ließ sich der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz von seinen Beratern zwei Worte Ukrainisch aufschreiben und deklamierte von der Rednertribüne des Bundestages »Slawa Ukraini« – »Ruhm der Ukraine«. Was noch nicht ganz klappte, war die rituelle Replik des Plenums auf diesen Parteigruß der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), den sie im April 1941 auf einem Kongress im deutsch besetzten Kraków eingeführt hatte: »Gerojam Slawa« (»Ruhm den Helden«). Das Parolendoppel ist heute die offizielle Grußformel der ukrainischen Armee. Das Erbe der ukrainischen Faschisten ist also in der Ukraine heute Teil des offiziellen Staatsrituals. Die Frage ist, ob es mehr ist als Ritual – und vor allem, warum sich die Haltung der westlichen Sponsoren der Ukraine so geändert hat, dass ein Mann, der sich gern seiner »Besonnenheit« rühmt, die Faschistenparole offiziell legitimiert. Was die von Scholz geführte Bundesregierung natürlich mit dem Ausdruck der Entrüstung von sich weisen würde. Da will jemand etwas nicht wissen, was er ganz genau weiß: Der ukrainische Faschismus ist heute in Kiew hoffähig, und mehr als das – er ist kulturell hegemonial geworden.
Susann Witt-Stahl, die Herausgeberin des im Verlag 8. Mai erschienenen Bandes »Der Bandera-Komplex«, der die gleichnamige Tagung vom 23. Oktober 2023 in Berlin dokumentiert, hat unlängst in der jW ausgeführt, dass der offizielle Verweis in die Irre führt, dass die Swoboda-Partei, um die sich vor dem »Maidan« die ukrainischen Faschisten gruppierten, heute im Parlament nicht mehr vertreten ist und damit der ukrainische Faschismus bedeutungslos geworden sei. Die Wahrheit ist, dass Anhänger des völkermordtauglichen Ethnonationalismus eines Stepan Bandera sich erfolgreich im gesamten heute legalen Parteienspektrum der Ukraine etabliert haben: von der Poroschenko-Partei »Europäische Solidarität« über den zeitweiligen Botschafter der Ukraine in Berlin, Andrij Melnyk, und das ihm vorgesetzte Außenministerium, das seine Pilgerfahrten zum Grab von Bandera duldete, die nationale Gedenkbehörde und die Selenskij-Partei »Diener des Volkes«. Alle zollen sie dem Ungeist Stepan Banderas zumindest pro forma ihren Tribut.
Eine zentrale Stellung in dem Band nehmen die Redebeiträge zweier Forscher aus den USA ein, die im Oktober 2023 in Berlin vorgetragen haben: Moss Robeson und Russ Bellant. Ersterer skizziert, in starkem Maße gestützt auf Grzegorz Rossoliński-Liebes Monographie »Stepan Bandera: The Life and Afterlife of a Ukrainian Nationalist: Fascism, Genocide, and Cult« (Stuttgart 2014), die Entstehungsgeschichte des ukrainischen Faschismus. Bellant, Autor des 1991 erschienenen Buches »Old Nazis, the New Right, and the Republican Party: Domestic Fascist Networks and U. S. Cold War Politics«, beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit dem Nachleben des Bandera-Nationalismus im Kalten Krieg in den USA und Kanada.
Dass ukrainische Nationalisten in der Zwischenkriegszeit mit dem Faschismus in seiner italienischen und deutschen Erscheinungsform zu sympathisieren begannen, ist an sich wenig erstaunlich. Der Faschismus war auch eine Ideologie derer, die sich in der auf dem Vertragssystem von Versailles beruhenden Ordnung der 1920er Jahre zu kurz gekommen wähnten. Im Falle der Ukrainer, weil sie sich um den eigenen Nationalstaat betrogen fühlten, den die Polen, zudem auf Territorium, das die Ukrainer für sich beanspruchten, mit Hilfe der Siegermacht Frankreich erfolgreich gründen konnten. An Deutschland als der einzigen Macht in Europa, die das Versailler System potentiell revidieren konnte, kam unter den ukrainischen Nationalisten keiner vorbei, und so war ihre Allianz mit der Reichswehr und später der Wehrmacht und ihrer »Abwehr« nur konsequent. Später dann auch die offene Kollaboration der ukrainischen Nationalisten mit Nazideutschland, bis dieses ihre Hoffnungen auf einen konzessionierten ukrainischen Nationalstaat ignorierte und sich die Ukrainer allenfalls als Handlanger beim Judenmord und später, ab 1944, als Partisanentruppe im sowjetischen Hinterland warmhielt.
Und genau dies war auch der Grund, warum nach 1945 die USA ein Interesse an den Resten der ukrainisch-nationalistischen Organisationen entwickelten. Wieder wollte man sie sich warmhalten, bis die Stunde gekommen wäre. Die Stunde kam zur Regierungszeit von Ronald Reagan, aber die Verbindungen datieren bis in die späten 1940er Jahre zurück. In den »ruhigen Jahrzehnten« danach, als ihr bewaffneter Kampf gegen die Sowjetmacht gescheitert war, bauten die ukrainischen Faschisten westlich des Atlantik Lobbynetzwerke auf, kraft derer sie heute in den USA und in Kanada im ukrainebezogenen Diskurs eine etablierte Größe sind. Als nach 1990 die Sowjetunion zusammenbrach, standen sie sprungbereit, um zunächst die ideologischen Staatsapparate zu erobern und später, ab 2014, das ganze Land.
Das alles wird in den Beiträgen von Robeson und Bellant ausführlich beschrieben. Es stellt sich die Frage, warum der ukrainische Faschismus heute auch in Deutschland respektabel geworden ist. Der Grund dürfte sein, dass die herrschende Politik im Rahmen ihrer Grundsatzauseinandersetzung über die Vorherrschaft in Osteuropa auch vor offenen Allianzen nicht mehr zurückschreckt, die jahrzehntelang wegen ihres unappetitlichen Charakters nur diskret gepflegt wurden. Dies mit Jürgen Lloyd von der Marx-Engels-Stiftung als »maximale Interessendurchsetzung« der Monopolbourgeoisie zu kennzeichnen, ist allerdings zu formal gefasst. Der Umschwung ist keine quantitative Frage, die mit »maximal« zu beantworten wäre, zumal ja auch dieser Begriff inhärent relativ ist. Maximal ist immer, was gerade geht. Und der »Herrschaftsbedarf«, den Lloyd durch die ukrainischen Faschisten maximal bedient sieht, wäre zu differenzieren zwischen dem Bedarf der innerukrainischen Herrschaft an Legitimation und Radikalität und dem ihrer Finanziers, ohne deren Hilfe es mit der ganzen Bandera-Herrlichkeit nicht weit gekommen wäre. Die Rehabilitierung Banderas und seiner Hinterlassenschaft ist die ideologische Seite des allgemeinen Kriegskurses gegen Russland. Der von Susann Witt-Stahl herausgegebene Band bietet wertvolle Detailinformationen zu diesem »Komplex«.
Susann Witt-Stahl (Hg.): Der Bandera-Komplex. Der ukrainische Faschismus – Geschichte, Funktion, Netzwerke. Verlag 8. Mai, Berlin 2024, 350 Seiten, 23,80 Euro
Die zweite Auflage befindet sich im Druck und ist vorbestellbar unter: verkauf@jungewelt.de
Zur Vorstellung des Buches »Der Bandera-Komplex« wird der langjährige jW-Chefredakteur Arnold Schölzel ein Gespräch mit der Herausgeberin Susann Witt-Stahl führen und die Veranstaltung moderieren. Am Donnerstag, dem 5. Dezember 2024, in der Maigalerie der Tageszeitung junge Welt. Beginn: 19 Uhr, Einlass ab 18 Uhr. Eintritt: 10 Euro (ermäßigt: 5 Euro). Um Anmeldung wird gebeten: 0 30/53 63 55-54 oder maigalerie@jungewelt.de
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