Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: Ausgabe vom 05.12.2024, Seite 2 / Ausland
Äthiopien

»Der Krieg dauert in Amhara bis heute an«

Vorwurf Völkermord: Äthiopische Regierung bekämpft zweitgrößte Bevölkerungsgruppe im Schatten des Tigray-Konflikts. Ein Gespräch mit Kidest T.
Interview: Interview: Ina Sembdner
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Selbstschutz: Amhara-Spezialkräfte feiern den Georgstag in Lalibela (25.1.2022)

Sie sind Vorsitzende des Vorstands des Vereins zur Förderung des Amhara-Volkes in Berlin und rufen für diesen Freitag zu einer Demonstration auf. Was ist der Hintergrund?

Wir, die äthiopische Gemeinschaft in Deutschland und verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen, fordern vor dem Auswärtigen Amt in Berlin ein Ende des Völkermords in Äthiopien gegen die Amhara-Bevölkerung. Dazu müssen die EU, die USA, der IWF und die Vereinigten Arabischen Emirate jegliche finanzielle und politische Unterstützung für das äthiopische Regime einstellen. Dieses Regime führt seit vier Jahren Krieg gegen sein eigenes Volk und begeht mit Drohnenangriffen und der bewussten Schaffung von Hungersnöten einen Völkermord an den Amhara. Die EU und Deutschland müssen unabhängige internationale Ermittlungen zu den schwerwiegenden Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit in Äthiopien aktiv unterstützen. Wir fordern Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die unzähligen Opfer der Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen.

Sie sagen, dass die Zentralregierung Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt. Was sind die Konfliktlinien?

Nach dem Befreiungskrieg wurde das Land 1991 im Namen eines ethnischen Föderalismus in neun Regionen aufgeteilt. Damit wurden den ethnischen Gruppen Macht und Rechte gegeben, anstatt den Menschen, die dort leben. Dieses Teile-und-herrsche-System hat die Menschen auseinandergerissen und sie zu Feinden gemacht. Und das ist der Plan der beiden ethnischen Befreiungsgruppen. Von 1991 bis 2018 dominierte die TPLF-Partei und seitdem die Oromo Prosperity Party. Sie haben die Rollen getauscht. Dies war der Grund für den zweijährigen Krieg in Nordäthiopien, der in der Region Tigray begann und sieben Monate später, im Juli 2021, auf die benachbarten Regionen Amhara und Afar übergriff. Er dauert in Amhara bis heute an, Zivilisten werden getötet und kulturelles Erbe wird zerstört, ohne dass die Regierung von Abiy Ahmed dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Bis August wurden innerhalb eines Jahres mehr als 200 Massaker mit 3.283 zivilen Opfern, darunter 2.592 Tote, dokumentiert. Zwischen Oktober 2023 und November dieses Jahres gab es mehr als 1.000 Opfer von Luft- und Drohnenangriffen. Mindestens 386 Frauen und Mädchen wurden systematisch vergewaltigt, 4,7 Millionen Kinder sind von der Bildung ausgeschlossen, da mehr als 4.000 Schulen schließen mussten.

Offiziell bekämpft die Regierung in Amhara die Fano-Miliz. Wo steht diese bewaffnete Gruppe?

Als der Krieg 2021 in die Regionen Amhara und Afar getragen wurde, konnte sich die Bevölkerung selbst nicht schützen. Jede Region in Äthiopien hat ihre Spezialkräfte. Obwohl sich Amhara und Afar nicht am Friedensabkommen zwischen der Regierung Ahmed und der TPLF beteiligen durften, sollten die Amhara-Spezialkräfte ihre Waffen abgeben. Dann haben sich die Amhara-Kämpfer gesagt, wieso sollen wir entwaffnet werden, obwohl die anderen noch bewaffnet sind? Daraufhin haben sie sich zur Fano-Miliz zusammengeschlossen und ihre Vertreter haben gesagt, wir werden uns selbst wehren und einen Selbstschutz aufbauen. Deshalb hat die Regierung angefangen, anzugreifen.

Was bleibt also vom Friedensabkommen?

Das Friedensabkommen hat denjenigen, die für 33 Jahre Verbrechen verantwortlich sind, statt sie zur Rechenschaft zu ziehen, Ehre, Macht und die Freiheit gegeben, weitere Verbrechen zu begehen. Obwohl die Greueltaten der TPLF Afar und Amhara verwüsteten und ebenso viele, wenn nicht mehr Zivilisten und kulturelles Erbe als in Tigray zerstört wurden, sprach die internationale Gemeinschaft nur von der Region Tigray.

Sowohl die Oromo Prosperity Party als auch die TPLF haben die Amhara in ihrem Masterplan als Feind benannt und sogar in den Lehrplänen in den 33 Jahren mit falschen Narrativen eine Gehirnwäsche bei der Jugend unter 30 Jahren durchgeführt, die über 70 Prozent der Äthiopier ausmachen. Die Amhara, die früher die größte Bevölkerungszahl hatten, heute aber an zweiter Stelle stehen und sich nie als Amhara definiert haben, sondern sich immer als Äthiopier gesehen haben, sind der große Feind für die Parteien, die sich davon befreien wollen.

Kidest T. ist Vorstandsvorsitzende des Vereins zur Förderung des Amhara-Volkes in Berlin

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  • Leserbrief von Dirk Vogelsang aus Lilienthal (9. Dezember 2024 um 15:37 Uhr)
    Dass die jW über Konflikte berichtet, die vom Mainstream totgeschwiegen werden, obwohl die Opfer in die Hunderttausende gehen, ist ein verdientes Alleinstellungsmerkmal. Kudos! Das Gespräch mit Kidest T. dürfte auch mit »innerafrikanischen« Konflikten vertraute Leser etwas stutzen lassen. Was nicht den Fragen, sondern den verworrenen Abläufen in Äthiopien geschuldet ist. Kurzer Rückblick: das TPLF-Regime, welches das Land seit 1991 auf der programmatischen Basis eines rigiden ethnischen Föderalismus mit eiserner Hand regiert und ausgesaugt hatte, musste 2018 der Abiy-Ahmed-Regierung weichen. Der daraufhin von der TPLF entfachte Krieg gegen die Zentralregierung in Addis, eingeleitet mit Überfällen und Massakern im November 2020, endete nach einer verheerenden Niederlage 2022 mit dem Pretoria-Abkommen, das für die TPLF einer Kapitulation gleichkam. Deren Führer um Debretsion dachten jedoch keine Sekunde daran, wie vereinbart ihre schweren Waffen abzugeben. Abiy ließ sie nicht nur gewähren, sondern forderte dasselbe nun von den in der FANO vereinigten Amhara, was diese schutzlos gelassen hätte, obwohl die TPLF in deren Gebieten schlimm gewütet hatte. Wie kann das sein? Ist die Formel »Der Feind meines Feindes ist mein Freund« falsch? Abiys Kalkül ist das eines Exgeheimdienstlers, der von Großmachtphantasien beseelt ist: Die TPLF ist geschwächt und in drei Fraktionen zerfallen, also keine akute Bedrohung mehr, aber weiterhin aktiver »Henchman« des US State Department. Und Abiy hängt am Tropf der USA, die jederzeit den Geldhahn zudrehen können, wenn er die Frage, ob er noch Herr im eigenen Hause ist, nicht bejahen kann. Äthiopien wäre dann bankrott. Die von der US-Regierung jahrzehntelang protegierte aggressive Separationspolitik der TPLF, vor der Eritrea seinen Nachbarn stets gewarnt hatte, hat diese fatale Entwicklung massiv begünstigt.

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