Nächstes Ziel Manbidsch
Von Tim KrügerWährend die syrische Armee mit russischer Luftunterstützung den Vormarsch der Dschihadisten von Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) und der Syrischen Nationalen Armee (SNA) vor der Großstadt Hama zunächst gestoppt hat und auch ein weiterer Vorstoß in der Nacht auf Donnerstag erstem Vernehmen nach gescheitert ist, droht die Lage nun in anderen Landesteilen Syriens aus den Fugen zu geraten.
Schon am Wochenende war neben den von der syrischen Regierung gehaltenen Gebieten rund um Aleppo auch die weiter nördlich gelegene Region Scheba, die unter der Kontrolle der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (auch bekannt als Rojava oder Westkurdistan) stand, von der dschihadistischen SNA angegriffen worden. Aufgrund der heftigen Angriffe von mehreren Seiten sah sich der Volksrat gezwungen, die Region zu evakuieren und weitere Massaker wie bei der türkischen Besetzung der Stadt Afrin 2018 zu verhindern. Nun erwartet die Selbstverwaltung eigenen Angaben zufolge 120.000 Menschen allein aus der Region Scheba. Der Kurdische Rote Halbmond rief zu Spenden für die Unterbringung der Vertriebenen auf.
Während in der Region rund um die Städte Tabka und Rakka Notunterkünfte errichtet werden, steckten auch am Mittwoch noch immer Konvois von Geflüchteten in von Dschihadisten kontrollierten Gebieten fest. Teilweise werden sie dort an der Weiterreise gehindert. Ein vier Monate altes Kind soll in der Nacht zum Mittwoch dabei an Unterkühlung gestorben sein. Trotz der schlechten Informationslage häufen sich auch die Berichte über Greueltaten von seiten der von der Türkei unterstützten SNA. Neben Plünderungen wie schon bei der Besetzung von Afrin durch die Milizen im Jahr 2018 soll es auch zu Verschleppungen und Hinrichtungen gekommen sein.
Der Selbstverwaltung könnte das Schlimmste allerdings noch bevorstehen. Die SNA erklärte, ihr nächstes Ziel sei die Region Manbidsch. Diese liegt westlich des Euphrat und ist seit der Offensive der Dschihadisten auf drei Seiten von HTS und SNA umringt. Auch eine direkte Beteiligung der Türkei in dem Krieg wird befürchtet. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte erklärt, nicht zuzulassen, dass kurdische Kräfte von der Situation in Syrien profitierten. Schon in der Vergangenheit hatte Ankara immer wieder angedeutet, die multiethnisch besiedelte Region entlang der Grenze zur Türkei einnehmen zu wollen. Auch der Chef der an der Regierung beteiligten faschistischen MHP, Devlet Bahçeli, ließ daran keinen Zweifel. Nicht nur sei Aleppo »bis auf die Knochen türkisch«, sondern auch die Einnahme der Region Scheba nur der erste Schritt gewesen. »Manbidsch ist als nächstes dran«, erklärte er am Mittwoch auf einer Fraktionssitzung der Partei.
Aufrufen zur Aufgabe der Region erteilte die Selbstverwaltung eine klare Absage. Der Vertreter in Deutschland, Kahled Davrisch, erklärte: »Wenn die Türkei mit ihren islamistischen Söldnern Manbidsch angreift, droht ein Massaker und die Vertreibung Zehntausender Menschen. Die Streitkräfte der Selbstverwaltung werden von unserem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch machen und die Zivilbevölkerung schützen.« Vor solchen Angriffen haben in den vergangenen Tagen auch andere Teile der kurdischen Bewegung gewarnt. So befürchtete der Sprecher der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK), Zagros Hîwa, dass Syrien laut Ansinnen der NATO möglicherweise in drei Teile aufgeteilt werden solle: einen sunnitischen Teil im Nordwesten des Landes – durch den dann die Verbindung des Iran zum Libanon und damit der Hisbollah getrennt wird –, einen kurdischen Teil östlich des Euphrat, der zum Handel mit der Türkei genutzt werden soll und drittens einen alawitischen Teil für Präsident Baschar Al-Assad. Bei allem gehe es vor allem darum, den Einfluss des Iran in der Region zurückzudrängen. Besê Hozat, Kovorsitzende des Exekutivkomitees der KCK, ergänzte, dass die Türkei dafür mit Hilfe der dschihadistischen Milizen in Syrien agiere, allerdings in enger Abstimmung mit anderen NATO-Staaten.
Hinweis: In einer ersten Fassung des Beitrags hieß es in der Unterzeile, Manbidsch sei eine mehrheitlich von Kurden bewohnte Stadt. Tatsächlich leben in Manbidsch mehrheitlich Araber neben einer kurdischen Minderheit und anderen ethnischen Gruppen. (jW)
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (5. Dezember 2024 um 17:31 Uhr)Und wie schon vor zehn Jahren machen sich die hiesigen Leitmedien wieder der Komplizenschaft mit den Dschihadisten schuldig, indem sie nach dem Motto »Der Feind meines Feindes ist vielleicht nicht gleich mein Freund, verdient aber Sympathie und Unterstützung« diese wieder als »Rebellen« und »Aufständische« framen und somit verharmlosen und ihnen die Daumen drücken gegen Assad. Sie lernen einfach nicht. Nicht aus der jüngeren Geschichte, und nicht aus der des eigenen Landes, die deutschen »Qualitätsjournalisten«.
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