Völkermordprozess ohne Urteil
Von Thorben Austen, QuetzaltenangoDer Völkermordprozess gegen den ehemaligen Armeechef in Guatemala, Manuel Benedicto Lucas García, droht zu platzen. Am vergangenen Donnerstag gab die Berufungskammer einem Antrag der Verteidigung nach Neubesetzung des Gerichts statt. Damit muss der gesamte Prozess, der im April begann und 99 Verhandlungstage andauerte, vor einem neuen Gericht komplett neu aufgerollt werden, erklärten Vertreter des Menschenrechtsbüros des Erzbistums (ODHAG) gegenüber jW. Das ODHAG unterstützt juristisch die Nebenklage.
Die Verteidigung stützte ihren Antrag auf einen Vorfall in der Beweisaufnahme am 9. August. Der Sachverständige Omar Bertoni von der guatemaltekischen Stiftung für forensische Anthropologie sagte über die Untersuchung eines Massengrabes mit 80 Skeletten aus. Die Frage, wie viele der Skelette identifiziert seien, beanstandete die Verteidigung als »nicht zur Sache« gehörend. Der Vorsitzende Richter Gervi Sical wies dies zurück und sagte, die Vorfälle dürften nicht »ungestraft« bleiben. Dies benutzte die Verteidigung als Begründung für eine angebliche »Befangenheit« des Gerichts.
Benedicto García ist angeklagt, als Armeechef in den Jahren 1981 und 1982 für Massaker der Armee an der indigenen Bevölkerung in der Region Ixil im Departamento Quiché verantwortlich zu sein. Die Staatsanwaltschaft hatte am 7. November 2.860 Jahre Haft gefordert. Auch für Eleodoro Osorio von der Vereinigung für Gerechtigkeit und Versöhnung (AJR) habe die Beweisaufnahme »eindeutig geklärt, dass in Guatemala ein Völkermord stattgefunden hat«, sagte er im November im Gespräch mit jW.
Die Anwältinnen der Verteidigung, die Pflichtverteidigerinnen Carmen Peralta und Teresa Martínez, plädierten dagegen auf Freispruch. In mehrstündigen Plädoyers am 11. und 13. November legten sie dar, die Beweisaufnahme habe die Schuld des Angeklagten nicht bewiesen. So habe es keine Verfolgung der »indigenen Bevölkerung als Indigene gegeben«, vielmehr habe die Armee Staat und Bevölkerung gegen »schwer bewaffnete und aus dem Ausland finanzierte Terrororganisationen« geschützt. Im Gerichtssaal aufgehängte Fotos von Guerillakämpfern sollten dabei die »schwere Bewaffnung« dieser Gruppen untermauern.
Nach Ende des Plädoyers am 13. November sollte sich das Gericht mit dem Befangenheitsantrag beschäftigen. Am selben Tag wurde die Verhandlung aber wegen eines Schwächeanfalls einer beisitzenden Richterin unterbrochen und die Fortsetzung mehrfach vertagt, so dass die Entscheidung der Berufungskammer erst vergangene Woche gefällt wurde.
Nety Rodenas vom ODHAG sprach gegenüber den Medien von einer »Ohrfeige« für die Opfer, die seit 40 Jahren »auf Gerechtigkeit warten«. Jovita Tzul, Anwältin der Nebenklage, wurde in Prensa Comunitaria zitiert: »Wir müssen uns mit dem Team treffen und die Situation nach dieser Entscheidung analysieren.« ODHAG und Nebenklage stehen noch Rechtsmittel gegen die Entscheidung zur Verfügung.
Der 92jährige Exgeneral musste an der Verhandlung nicht persönlich teilnehmen und verfolgte den Prozess vom Militärkrankenhaus per Videoschalte. Es gilt als unwahrscheinlich, dass er auch im Falle eines Urteils noch eine Haftstrafe antreten muss. Vielmehr geht es bei dem Prozess darum, gerichtlich zu belegen, dass in Guatemala ein Völkermord stattgefunden hat, hatte Nery Rodenas zu Prozessbeginn im Interview mit jW erklärt. Veteranenverbände der Armee und ultrarechte Organisationen wie die Stiftung gegen den Terrorismus versuchen genau dies zu verhindern. Deren Vorsitzender, Ricardo Méndez Ruiz, äußerte auf X seine Freude über die »Annullierung der Farce des Völkermordprozesses«.
Der Völkermordprozess ist dabei nicht der einzige Fall, der einen Rückschlag erhielt. Anfang November wurde das Urteil gegen Benedicto García und weitere Angeklagte wegen Fällen des gewaltsamen Verschwindenlassens annulliert. García war wegen dieser Fälle zu einer 58jährigen Haftstrafe verurteilt worden, die allerdings in Hausarrest umgewandelt wurde.
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