Yoon gescheitert
Von Martin Weiser, SoeulEs war sehr knapp. Um ein Uhr in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch (Ortszeit) beschloss das südkoreanische Parlament mit 190 Abgeordneten einstimmig die Aufhebung des Kriegszustands. Gleichzeitig versuchten Dutzende Spezialkräfte des Militärs in voller Montur das Parlamentsgebäude zu stürmen, scheiterten jedoch an den verbarrikadierten Türen. Hätten die Soldaten Gewalt eingesetzt oder wären früher ins Gebäude vorgedrungen, hätte es auch anders kommen können. Laut der oppositionellen Demokratischen Partei (DP) dokumentierten die Überwachungskameras, wie gezielt die Büros der Parteivorsitzenden und des Parlamentspräsidenten angesteuert wurden, um sie festzusetzen. Die Soldaten sollten jedoch höchstwahrscheinlich vor allem die Abstimmung selbst verhindern. Sie ist laut Verfassung die einzige Möglichkeit, den Kriegszustand demokratisch wieder aufzuheben.
Zum Hintergrund: Am Dienstag abend hatte Präsident Yoon Suk Yeol in einer Fernsehansprache überraschend das Kriegsrecht verkündet. Dabei warf er der Opposition vor, Handlanger des kommunistischen Nordens zu sein. Die Ankündigung war umgehend auf vehemente Kritik und Widerstand gestoßen. Nicht nur die DP, sondern auch Yoons eigene Partei, die konservative Volksmacht-Partei (PPP), sprach sich dafür aus.
Von Anfang an war klar, dass der Einsatz des Militärs gegen die Verfassung verstieß. Weder waren die Bedingungen für das Ausrufen des Kriegsrechts gegeben, noch durfte das Parlament besetzt werden. Der südkoreanische Präsident verkündete erst drei Stunden nach der Abstimmung, dass er sich auch an den Beschluss des Parlaments halten werde. Die nächsten Tage und Wochen werden wahrscheinlich offenlegen, über welche Szenarien in dieser Zeit nachgedacht wurde. Vielleicht hofften der Präsident und Verbündete, dass die Gegenseite Gewalt einsetzen und damit eine Ausrede liefern würde, entsprechend gegen sie vorzugehen. Doch ohne Gewalt auf den Straßen oder eine Reaktion aus Nordkorea blieb dem Präsidenten nichts anderes übrig, als aufzugeben.
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, darf man den Polizisten und den Soldaten vorwerfen, die anscheinend keinerlei Skrupel hatten, bei dem Putschversuch mitzumachen. Die Polizei versperrte eine Viertelstunde nach Erklärung des Kriegsrechts sogar Abgeordneten den Weg zum Parlamentsgelände. Die konnten aber teilweise an anderer Stelle über den Zaun klettern. Nachdem die Polizeiblockade nicht verhindern konnte, dass sich die Mindestanzahl von 150 Abgeordneten für die Aufhebung des Kriegsrechts im Parlament versammelte, schickte man das Militär los. Kurz nach halb zwölf setzten Helikopter 230 Elitesoldaten neben dem Parlamentsgebäude ab. Diese Spezialeinheit 707 wurde Stunden vor dem Einsatz informiert, sie müsste bald für einen Einsatz gegen Nordkorea ausrücken. Aber als sie dann auf einmal vor dem eigenen Parlament stand, machte keiner kehrt. Dutzende Zivilisten stellten sich erfolgreich zwischen die Soldaten und die Eingänge zum Parlamentsgebäude. Die Soldaten kamen dann durch ein Fenster rein, aber nur um dann im Gebäude an verbarrikadierten Türen zu scheitern. Im Internet macht ein Video die Runde, in dem sich einer der vermummten Soldaten mehrfach entschuldigt. Aber das war ein Einzelfall.
Die Demokratische Partei und fünf kleine Oppositionsparteien reichten noch am Mittwoch nachmittag einen Antrag für Yoons Amtsenthebung ein. Laut Gesetz kann die Abstimmung darüber frühestens nach 24 Stunden, aber spätestens nach 72 erfolgen. Dank der landesweiten Proteste, die wahrscheinlich am Wochenende noch zunehmen werden, sollten genügend Abgeordnete dafür stimmen. Dass das Verfassungsgericht genug Gründe findet, um ihn dann auch formell seines Amtes zu entheben, scheint derzeit außer Frage. Das gesamte Kabinett hat bereits angekündigt, zurücktreten zu wollen. Und bei einem Treffen mit dem Vorsitzenden der Regierungspartei und dem Premierminister am Mittwoch wurde Yoon wahrscheinlich dasselbe nahegelegt.
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 16.11.2024
Nordkorea liefert
- 07.11.2024
Kämpfe gegen Koreaner?
- 02.11.2024
Moskau und Pjöngjang einig
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Nächstes Ziel Manbidsch
vom 05.12.2024 -
Völkermordprozess ohne Urteil
vom 05.12.2024 -
Brutaler Apartheidstaat
vom 05.12.2024 -
UN-Vollversammlung für Zweistaatenlösung
vom 05.12.2024 -
»Der Krieg dauert in Amhara bis heute an«
vom 05.12.2024 -
Mummenschanz
vom 05.12.2024