Demokratischer Firnis
Von Jörg KronauerDer Versuch, über Südkorea das Kriegsrecht zu verhängen, war vielleicht ein Vorgeschmack auf Dinge, die da noch kommen mögen. Dass er an entschiedenem Widerstand der liberalen Opposition und vor allem der Bevölkerung gescheitert ist, macht vorläufig ein wenig Mut. Nachdenklich stimmen Äußerungen aus dem Washingtoner Establishment, in denen es hieß, die Probleme, die Präsident Yoon Suk Yeol mit der Opposition gehabt habe, der Streit um den Haushalt etwa, das seien doch wahrlich keine Gründe, gleich zum äußersten zu greifen. So etwas tue man nur dann, wenn eine wirkliche Notlage vorliege: wenn die Sicherheit des Landes in Gefahr sei, etwa im Krieg. Yoon, ein antichinesischer Hardliner par excellence, hat in den zweieinhalb Jahren seiner Amtszeit viel dazu beigetragen, die Spannungen in Ostasien weiter anzuheizen und bewaffnete Konflikte wahrscheinlicher zu machen, indem er die Aufrüstung um jeden Preis vorangetrieben und den Schulterschluss mit den USA und Japan gegen China vollzogen hat – auch militärisch. Das Kriegsrecht ist die Kehrseite dieser Medaille.
Unangenehm, zumindest peinlich, ist der Vorfall für die Administration des scheidenden US-Präsidenten Joe Biden. Der hatte den erwähnten Schulterschluss mit Japan und Südkorea – aus PR-Gründen natürlich – stets als Bündnis der Demokraten gegen die Autokraten inszeniert. Im März hatte er den dritten internationalen US-»Demokratiegipfel« in Seoul abhalten lassen. Sein südkoreanischer Amtskollege Yoon hat ihm dies nun mit einem satten demokratischen Furz gedankt. Nicht, dass die – zum Glück schnell verpuffte – Ausrufung des Kriegsrechts wirklichen Schaden für die Vereinigten Staaten verursacht hätte. Übel riecht sie allerdings doch. Die üblichen, für die westliche Politpropaganda immer wieder nützlichen Predigten, man dürfe doch nicht putschen (Sahel), man müsse freie Wahlen ermöglichen (Georgien) – sie werden weiter beim eigenen Publikum verfangen, in Europa, in Nordamerika. Dass der globale Süden sich von ihnen nicht mehr beeinflussen lässt, dazu hat Yoon nun einen Beitrag geleistet.
Auch die Berliner Resteregierung und Moralministerin Annalena Baerbock dürften über Yoons Vorstoß kaum glücklich sein. Nicht nur, dass auch ihre Predigten dadurch noch schaler, noch durchsichtiger werden. Berlin hat die immer engere Anbindung Südkoreas – und Japans – an die NATO stets unterstützt, hat zuletzt außerdem begonnen, die militärische Kooperation mit Seoul zu forcieren, um der Bundeswehr einen Platz im großen Aufmarsch des Westens gegen China zu garantieren. Die südkoreanischen Militärs, mit denen Deutschland da kollaboriert, haben zumindest zu Anfang die Ausrufung des Kriegsrechts durch Yoon mitgetragen und das Parlament zu stürmen versucht. Beim nächsten Aufenthalt einer deutschen Fregatte in Busan wird man fragen dürfen, wen die Truppe da eigentlich besucht.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (5. Dezember 2024 um 09:55 Uhr)Seit der Gründung Südkoreas im Jahr 1948 ist dies das zehnte Mal, dass das Kriegsrecht verhängt wurde. Jedes Mal war es eine Reaktion auf interne Spannungen. Doch das letzte Mal, dass es verhängt wurde, ist 43 Jahre her. Völlig überraschend verhängte Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol das Kriegsrecht. Er begründete den Entscheid damit, dass die Opposition mit Nordkorea sympathisiere und die Regierung bewusst ausbremsen würde. In Bezug auf den Staatshaushalt besitzt der Präsident kein Vetorecht, so dass die Meinungsverschiedenheiten zwischen Parlament und Regierung nun, wenn der Haushaltsplan für das nächste Jahr verabschiedet werden muss, in eine Sackgasse geraten sind. Seine Aktion ging weit über die Grenzen des üblichen politischen Handelns im demokratischen Südkorea hinaus und erinnert ans Vorgehen von Park Chung-hee, einem Militärdiktator, der das Land in den 1960er und 1970er Jahren regierte. Präsident Yoon hoffte offenbar, seine Regierung zu retten. Stattdessen hat er mit ziemlicher Sicherheit seinen eigenen Untergang besiegelt. Wenn er nicht selbst zurücktritt, wird das Parlament wahrscheinlich ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn einleiten. Südkoreanische Medien berichten, dass dieser Schritt das Vertrauen sowohl der politischen Elite als auch der Öffentlichkeit in den Präsidenten weiter untergraben hat und dass es Forderungen nach seiner Amtsenthebung geben wird.
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Leserbrief von Hagen Radtke aus Rostock (5. Dezember 2024 um 08:54 Uhr)Also ich sehe hier keinen »schalen Beigeschmack«. Dass der Versuch eines Präsidenten, sich über das Parlament zu stellen, hier so schnell und eindeutig beendet wurde, ist doch gerade ein Beweis für eine lebendige Demokratie. Ob, hypothetisch, ein ähnlicher Versuch Trumps in der »ältesten Demokratie der Welt« auch so eindeutig zugunsten dieser ausgehen würde, darüber wäre ich mir weniger sicher.
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Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (5. Dezember 2024 um 15:03 Uhr)Herr Radtke, ich stimme ihnen zu. Eine Demokratie ist dann lebendig, wenn es gelingt, einem Möchtegernherrscher den Weg zu versperren, der das eigene Interesse über die Gesetze und das Parlament stellt. Eine solche Demokratie finde ich jedenfalls zeitgemäßer als die nordkoreanische Version einer Erbmonarchie!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (4. Dezember 2024 um 20:04 Uhr)Warum soll die Plaudertasche vom Völkerrecht »über Yoons Vorstoß kaum glücklich sein«? Möglicherweise tut sie so. Tatsächlich liefert Yoon die Blaupause, die hierzulande womöglich schneller in Realität überführt werden könnte als uns lieb sein kann. Höchstwahrscheinlich ist sie dann nicht mehr Außenministerin, aber es kommt ja selten was besseres nach (man sehe sich die Außenministerliste der BRD an).
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