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Aus: Ausgabe vom 05.12.2024, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Das wahre Gesicht

Deformationen hinter der Maske oder davor: Heitere Verwirrung in Aaron Schimbergs Spielfilm »A Different Man«
Von Holger Römers
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Es gibt kein Gesicht ohne Maske und keine Bühne ohne Mannequin

Es ist bezeichnend, dass »A Different Man« mit einem Beispiel schlechten Schauspiels beginnt: Vor billiger Studiokulisse mimt der Protagonist Edward so angestrengt einen Schwächeanfall, dass ein anonymer Regisseur prompt zur Mäßigung ruft. Ebenso bezeichnend ist freilich das Ergebnis dieses umstandslosen Drehs: Ein Video, das Firmen zur Mitarbeiterschulung dienen wird, mahnt in geschäftsmäßigem Ton einen diskriminierungsfreien Umgang mit »Gesichtsdifferenz« an.

Damit sind die Pole abgesteckt, zwischen denen Regisseur und Drehbuchautor Aaron Schimberg seinen dritten Spielfilm souverän navigiert: hier trashige Übertreibungen, zu denen beschränkte Mittel ebenso verleiten wie unangemessene Ambition, dort simple Sprach- und Handlungsregeln, zu denen Identitätspolitik gern vereinfacht wird.

Schon der zweite Spielfilm des US-Amerikaners, »Chained for Life« (2018), spielte mit Klischees von Billigkino (und prätentiösem Autorenfilm), während ein Film-im-Film-Plot die Frage einer politisch korrekten Abbildung körperlicher Fehlbildungen aufwarf. Diesem Thema misst Schimberg offenbar autobiographische Bedeutung bei, da er seine beidseitige Gaumenspalte in Interviews als identitätsprägend beschreibt.

Wie im Vorgängerfilm ist die männliche Hauptfigur in »A Different Man« von Neurofibromatose gezeichnet – jedenfalls zu Beginn der Handlung. Dann nimmt der erfolglose Schauspieler Edward an einer Medizinstudie teil und erlebt eine Wunderheilung. Zum gewieften Immobilienmakler geworden, erblickt er Jahre später seine ehemalige Nachbarin Ingrid (Renate Reinsve) auf der Straße. Deren Freundlichkeit hat vor seiner Verwandlung wohl amouröse Gefühle bei ihm geweckt, weshalb paradox ist, dass er ihr nie in neuer Gestalt gegenübertreten mochte. Die angehende Dramatikerin hat derweil ein Stück über jenen Edward geschrieben, den sie einst kannte, und bereitet dessen Off-Broadway-Produktion vor. Diese »eigene« Rolle will Edward nun unbedingt spielen, wozu er sich ironischerweise nicht nur einer fingierten Identität bedienen muss, sondern auch eines Abdrucks seines »alten« Gesichts als Maske.

Dabei spiegeln sich die Dilemmata des Stücks in der Besetzung und Inszenierung von »A Different Man«, denn Edward wird in beiden Lebensphasen von Sebastian Stan dargestellt, der mehrfach hinter Masken steckt. Das beginnt mit einer naturalistischen Gesichtsprothese, die als solche kaum zu erkennen ist, weshalb der unbewegliche Abguss, den der geheilte Edward dann bei Theaterproben nutzt, erst recht verfremdend wirkt. Ein weiterer Kontrast ergibt sich aus dem Auftreten einer dritten Hauptfigur, die vom real mit Neurofibromatose lebenden Adam Pearson gespielt wird. Der joviale Lebemann Oswald verdrängt Edward nicht nur auf der Bühne aus der gewünschten Rolle, sondern auch im Privatleben Ingrids.

Das nimmt Schimberg zum Anlass, ein Noir-Element zu entwickeln, das zunächst rein oberflächlich scheint und fröhlich die Grenze zum Horrortrash streift – die bei einem sichtlich sparsam an New Yorker Originalschauplätzen auf Super-16-mm realisierten Film vergleichsweise naheliegt. Gerade dieses lustvolle Spiel mit Genreversatzstücken bewahrt freilich vor dem braven Bierernst, den Identitätspolitik womöglich befürchten lässt. Jedenfalls spiegeln sich hier in den Facetten dieses Themas ganz subtil allgemeinste Aspekte: etwa die Frage, wann eine künstlerische Verarbeitung zwischenmenschlicher Erlebnisse zur Erfindung wird. Oder ob irgend jemandem wirklich so eine unbekümmerte Heiterkeit möglich wäre, wie Oswald sie an den Tag legt.

»A Different Man«, Regie: Aaron Schimberg, USA 2024, 112 Min., Kinostart: heute

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