Horror mit Flöte
Von Ronald KohlNichts ist schrecklicher für einen gestandenen Mann, als in das Haus seiner Mutter zurückziehen zu müssen, selbst wenn die längst tot ist.
Patrick (Sam Claflin) ist ein technisches Genie. Aber leider kein kaufmännisches. Als Nachfahre von Sägewerksbesitzern begeistert ihn Holz jeder Art. Er hat viel Geld in die Entwicklung eines vollautomatischen Harvesters gesteckt, nur blieb die Ernte eben aus. Die Schulden stehen ihm bis zum Hals. Außer dass er mit seiner jungen Familie in sein abgeranztes Elternhaus einzieht, darf er sich auch noch glücklich schätzen, dass ihn sein älterer Bruder Liam (Steven Cree) als Hilfsarbeiter beschäftigt. Während einer kurzen Verschnaufpause beim Holzverladen sagt Liam zu ihm: »Als ich den Betrieb von Dad übernahm, habe ich oft geträumt, dass wir pleite sind und alles unter den Hammer kommt.« Patrick, der übernächtigt wirkt und trotz der Anstrengung leichenblass ist, antwortet: »Diese Art von Träumen kenne ich. Und das sind noch die angenehmsten, die ich habe.«
Was ihm seit der Rückkehr in das heimische Kaff wirklich zu schaffen macht, sind nicht die Männer von den Banken. Es ist der titelgebende Bagman. Der ist tausendmal bedrohlicher als die Kredithaie; die haben es wenigstens nicht auf seinen Sohn abgesehen.
In dem deutschen Trailer des Films wird für »Bagman« von Regisseur Colm McCarthy damit geworben, dass er »von den Produzenten von Smile und Smile 2« stammt. Beide Filme sind schrille Horrorstreifen nach der Machart von »Bodysnatchers«: Wenn du erst einmal das höllische Grinsen deines Gegenübers gesehen hast, bleibt dir noch exakt eine Woche, bist du dir einen Wagenheber auf die Stirn drischst oder dir eine faustkeilgroße Scherbe ins Auge rammst oder dich auf eine andere trashige Art selbst ins Jenseits beförderst. Was allerdings zählt, ist nicht nur Entschlossenheit, sondern dass du vorher so viele Mitmenschen wie möglich angelächelt hast.
Der einzige, der bei »Bagman« mit einem Smile im Gesicht herumläuft, ist der Typ selbst. Er ist ein quietschvergnügter Kinderfänger. Und er kommt damit bis zum Schluss durch, weil es offenkundig einen zweiten Teil geben soll. Ein überaus gewagtes Spiel.
Der Plot ist so lange okay, wie die Produzenten den Drehbuchautor haben machen lassen. Es ist kein umwerfendes Skript, aber solide Hausmannskost – ohne unnötig viel Blutwurst, abgesehen vom Prolog, wo uns sofort klargemacht wird, dass ein Kind schlechte Karten hat, wenn es erst einmal beim Bagman im Bag gelandet ist, einer übergroßen ledernen Reisetasche mit knarzendem Reißverschluss. Nach der gruseligen Einführung haben wir lange Zeit mehr Angst vor dem, was passieren könnte, als dass uns das bibbern und kreischen lässt, was auf der Leinwand passiert.
Seinen Höhepunkt erreicht der Film, als Patrick mit seiner allmählich verzweifelnden Ehefrau eine Psychotherapeutin aus Kindheitstagen aufsucht. Für den Bruchteil einer Sekunde besteht die Hoffnung, dass er sich die nächtlichen Vorgänge im Haus nur eingebildet haben könnte. Doch dann griff vermutlich das Management ein, die Produzenten des Films. Denn über einen Bagman, den es gar nicht gibt, einen zweiten Teil zu drehen, würde gewiss der blanke Horror werden. Doch das trifft auch auf die abgelieferte Version zu; die Handlung ist im letzten Abschnitt platt wie eine Wanze unterm Wagenheber: Alle, die den kleinen Jake vor dem maskierten Monster, dem Bagman, beschützen wollen, kriegen eins über die Rübe gezogen und liegen mit aus dem Mund quellenden weißen Schaum am Boden. (Ist es die Tollwut oder Brausepulver? Die Handlung gibt da leider keinerlei Auskunft.)
Auch wenn im letzten Drittel eher die Gier das Geschehen steuert als der kreative Anspruch, musste ja doch irgendwie ein Finale gebastelt werden, das den kommerziellen Zweck auch erfüllt. Ob das so richtig gelang, ist die Frage.
Patricks kleiner Sohn besitzt diese hölzerne Flöte, die ihm sein Daddy geschnitzt hat. Doch das hätte Daddy besser bleiben lassen, weil Jakes Gepiepe wirklich absolut nervtötend ist. Deshalb landet das Instrument schließlich auch irgendwann im Müll. Ohne seine über alles geliebte Flöte ist Jake jedoch plötzlich ein leichtes Opfer für den Bagman. Also muss das Ding wieder her.
Wenn Sie mich fragen, hat Jake wirklich mächtig viel Glück, dass seine Eltern noch so jung und nervenstark sind. Und was den zweiten Teil anbelangt, werde ich ihn mir bestimmt nicht anschauen, schon wegen dieses Folterinstrumentes von Flöte.
»Bagman«, Regie: Colm McCarthy, USA 2024, 92 Min., Kinostart: heute
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