Konzept für Entlassungen
Von Suitbert CechuraVW ist nicht nur der größte Autokonzern der BRD, sondern gilt auch als Vorzeigeunternehmen betrieblicher Mitbestimmung – von den Gewerkschaften als ihr Erfolg gefeiert. Überhaupt soll der Konzern für die Errungenschaften der sozialen Marktwirtschaft stehen, in der Arbeiter nicht mehr ausgebeutet, sondern mit anständiger Bezahlung und Arbeitsplatzsicherung versorgt werden. Und jetzt das: VW geht in stinknormaler kapitalistischer Manier hin und will seine Rendite mit Werkschließungen, Entlassungen und Lohnsenkungen sichern, weil eben »Sanierungsbedarf« ansteht. IG Metall und Betriebsrat kündigen Streiks an und legen einen »Zukunftsplan« vor. Sie zeigen damit nach eigenen Angaben »Verantwortung für das Unternehmen«. Ein seltsamer Kampf, der sich da ankündigt!
Klassenkampf von oben
Die Kritik an der mangelhaften Rendite hat VW nicht daran gehindert, seinen Aktionären 4,5 Milliarden Euro an Dividende auszuzahlen. Der Gewinn des Unternehmens soll aber nicht nur diese Ansprüche befriedigen, sondern ihm Mittel verschaffen, durch Einsatz neuer Technologien, durch Digitalisierung etc. seinen Konkurrenten in Sachen Rendite dauerhaft Paroli bieten zu können. Dies bedeutet zugleich eine industriepolitische Herausforderung für den Standort, aber eben auch, dass die ganz normalen Instrumente der Marktwirtschaft zum Einsatz kommen: das Überflüssigmachen von Arbeit in Produktion und Verwaltung und das Effektivieren beim Einsatz der Restbelegschaft. Mit seiner Ankündigung hat VW auch den bestehenden Zukunftssicherungsvertrag gekündigt, der schon mit Lohnverzicht verbunden war. Offenbar hat dieser Vertrag das Unternehmen in keiner Weise gebunden.
Dennoch zeigt sich der Konzern mit dem Ergebnis unzufrieden, und da er die Verfügungsmacht über sein »variables Kapital«, sprich: den Lebensunterhalt der VW-Beschäftigten hat, verfügt er über ein Mittel, seine Kosten zu senken. Er macht damit auch deutlich, was Kapital ist: Geld, das eingesetzt wird, um mehr zu werden. Und wenn dieses Geld das nicht im gewünschten Maße tut, dann hört es auf, Kapital zu sein. Fabriken, die sich nicht lohnen, mögen da technisch gesehen top sein, mit dem Urteil des Sich-nicht-Lohnens werden sie Schrott, also dichtgemacht. Ebenso erweisen sich die Arbeitskräfte als überflüssig.
In den Bilanzen tauchen die stillgelegten Fabriken als abgeschrieben auf, als Verluste, die steuermindernd geltend gemacht werden können. Das Gleiche gilt für die Aufwendungen, um Beschäftigte über Sozialplan oder Abfindungen zu entlassen. So wird das geschrumpfte Kapital wieder lohnend und verheißt den Börsianern neue Renditen. Insofern zeigt sich VW als ganz normales kapitalistisches Unternehmen – da macht es offenbar gar nichts, dass ein Teil der Aufsichtsräte von der Gewerkschaft gestellt wird.
Auf die Kampfansage des Kapitals hin haben IG Metall (IGM) und der Betriebsrat zum Protest aufgerufen und den Kampf um Arbeitsplätze eröffnet – im Prinzip ein trostloser Kampf, wie auch andere Beispiele aus der bundesdeutschen Marktwirtschaft zeigen. Jetzt sollen Arbeitsplätze vertraglich gesichert werden, so die kämpferische Ansage. Dabei hat sich doch bei VW gerade gezeigt, was ein Arbeitssicherungsvertrag wert ist.
Die Kündigung dieses Vertrags ist aber für die IGM wie für den Gesamtbetriebsrat Anlass, einen neuen Zukunftsplan vorzulegen, der jetzt aber wirklich die Arbeitsplätze sicher macht. Dem Anliegen einer erhöhten Rendite wird damit recht gegeben, denn der Plan soll ja gerade dazu beitragen, dass das Unternehmen auch in Zukunft erfolgreich ist, also Gewinne im angestrebten Umfang einfährt. So bringen Gewerkschaft wie Betriebsrat es auch in Stellung gegen seine Konkurrenten – wozu in Deutschland etwa Ford gehört.
Was rettet der Rettungsplan?
Die einzelnen Punkte des Plans verheißen für die Belegschaft nichts Gutes: »Die kommende Tariferhöhung bei VW könnte befristet als Arbeitszeit in einen solidarischen Zukunftsfonds eingebracht werden. Darüber bekäme das Unternehmen ein Instrument, um bei Bedarf Arbeitszeiten abzusenken«, heißt es im Konzept von IGM und Gesamtbetriebsrat. Damit wird angekündigt, dass für die VW-Belegschaft eine Nullrunde beim Einkommen ansteht. Ganz gleich, was die Gewerkschaft auch immer als nominelles Ergebnis auf dem Papier aushandelt.
Dafür erhält VW die Möglichkeit, flexibel mit den Arbeitszeiten zu verfahren und Entlassungen durchzuführen: »Falls also durch den Strukturwandel in Produktion oder Verwaltung Unterauslastungen entstehen, würde der Fonds helfen, Personalabbau weiterhin sozialverträglich gestalten zu können.« (IGM) Ein seltsamer Interessenausgleich wird da von den Arbeitervertretern vorgeschlagen: Die Kollegen sollen dem Unternehmen die Mittel für die Finanzierung der Entlassungen zur Verfügung stellen, die dann unter gewerkschaftlicher Mitwirkung nicht mehr Entlassungen heißen. Sie gelten als Beitrag dazu, dass der Personalabbau ohne Friktionen über die Bühne geht, die Belegschaft also die Forderungen des Betriebs schluckt.
Doch auch die Manager nimmt die Gewerkschaft in die Verantwortung: »Als weiterer Teil des Konzepts sollen 2025 und 2026 Teile der Boni – von Vorstand über Management bis in den Tarif – für Zukunftssicherung eingebracht werden.« (IGM) Das wird Bonzen hart treffen, wenn sie auf Teile ihrer Boni verzichten müssen, bei ihren Gehältern. Gleichzeitig haben Betriebsrat und Gewerkschaft auch Teile des Einkommens der Belegschaft in die freie Verfügung des Unternehmens gestellt – hier gibt es ebenfalls Boni, bei denen für den zukünftigen Erfolg des Unternehmens Einsparungen eingeplant werden sollen. Dafür listet der Zukunftsplan gleich eine ganze Liste von Versprechungen auf:
»Kluge Produktverteilung sichert Stammbelegschaften in allen deutschen Standorten ab. Werkschließungen wären damit abgewendet – alle Standorte hätten Zukunftspfad (…) Dieses Gesamtpaket würde die Arbeitskosten um 1,5 Milliarden Euro entlasten. Neue Beschäftigungssicherung für die Volkswagen AG soll wieder in Kraft treten. Im Gesamtpaket muss auch ein Beitrag durch die Dividendenpolitik enthalten sein.« (IGM)
Seltsame Ideen sind das – als ob man in der BRD eine Planwirtschaft vor sich hätte, wo kluge Köpfe die Verteilung der Produktion planen. Dass mit ihrem Konzept wirklich Werkschließungen abgewendet werden, glauben die Gewerkschaftler wahrscheinlich selbst nicht. Wie stark die Belegschaft für den Erfolg von VW zur Kasse gebeten werden soll, haben sie dennoch ausgerechnet, denn deren Lebensunterhalt betrachten diese Komanager offenbar als Verfügungsmasse für den betrieblichen Erfolg. Es gehört schon eine gehörige Portion Dreistigkeit dazu, angesichts der Leichtigkeit, mit der VW den bestehenden Zukunftssicherungsvertrag für nichtig erklärt hat, die jetzt angebotenen Opfer der Belegschaft als einen Beitrag zu ihrer Existenzsicherung zu verkaufen.
Trotz der konstruktiven Angebote ist die Antwort von Europas größtem Autobauer negativ, Volkswagen hat die Vorschläge von IGM und Betriebsrat zur Kostenentlastung als nicht ausreichend verworfen. »Eine nachhaltige Einsparung von 1,5 Milliarden Euro ist auch nach intensiver Analyse nicht feststellbar«, teilte VW nach Abschluss der Prüfung des Konzepts vergangenen Freitag mit.
Die Absage ist nicht weiter verwunderlich, hatten doch IGM und Gesamtbetriebsrat in ihren Rechnungen eine Tariferhöhung unterstellt, die es gar nicht gibt. Schließlich steht die Tarifrunde bei VW erst an und klar ist: Sanierung heißt das Gebot der Stunde! Dennoch darf die Belegschaft für den schönen Plan zum Streik antreten und für die Finanzierung der Entlassungen kämpfen. Das beansprucht zwar die Streikkasse, schont aber die Lohnkosten des Unternehmens, und so können die Betroffenen mal richtig Dampf ablassen, bevor es um ihre Abwicklung geht.
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Leserbrief von Henning Wesarg aus Halberstadt (5. Dezember 2024 um 14:00 Uhr)Die Probleme von VW haben auch andere. Es sind die offensichtlichen Merkmale einer kapitalistischen Überproduktionskrise. Alle Einsparmaßnahmen führen zur Minderung der Kaufkraft und damit zur Verschärfung der Krise. Aber von Erhöhung der Kaufkraft zum Beispiel im großen Bereich der prekär Beschäftigten und Erwerbslosen ist nie die Rede. Lindner wollte die Staatsfinanzen durch Kürzungen im sozialen Bereich sichern, also durch Verminderung der Kaufkraft. Meine Anteilnahme an den zukünftigen Nöten der VW-Beschäftigten hält sich in Grenzen, gehören sie doch zu den Bestbezahlten in Deutschland. Mein Enkel musste als Leiharbeiter bei BMW mit einem Drittel derer Bezüge auskommen. Und was die Gewerkschaft anbetrifft, na ja, als 1991/92 2,3 Millionen Werktätige der DDR auf der Straße standen, hat sie ungerührt zugesehen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (5. Dezember 2024 um 15:50 Uhr)Ob es wirklich klug ist, einem Arbeiter nur deshalb seine Solidarität zu verweigern, weil er mehr als ein anderer verdient? Vielleicht ist in einer solchen Vorstellung nur das »Teile und herrsche« der oberen Zehntausend auf einen dafür nutzbaren Boden gefallen?
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