Kürzungsorgie im Eiltempo
Von Niki UhlmannDer Moderator schreit, die Menge stimmt ein. Lärm. Selten sind Kundgebungen so laut. Die Menschenmasse vor dem Berliner Abgeordnetenhaus (AGH) stapelt sich bis auf die Treppen des Gropius Baus gegenüber. Zweieinhalbtausend rote Karten werden verteilt. Sie schnellen in die Höhe, sobald Wut hochkocht und gelten der Koalition aus CDU und SPD, die die soziale Sicherheit Berlins kaputtzusparen droht. Eine Demonstrantin hat ihre eigene rote Karte mitgebracht: Ein riesiger Mittelfinger zeigt Richtung AGH. Der Tenor: »Wir sind wichtiger, als ihr denkt!«
»Schwarz-Rot« will seine Kürzungsorgie im Eiltempo durchdrücken. Am 19. November hat der Senat sein Sparprogramm im AGH vorgestellt. Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sprach von »schmerzhaften Einschnitten«. Seitdem zittert Berlin. Am 19. Dezember soll der Haushalt 2025 schon beschlossen werden. CDU und SPD wollen von 40,5 Milliarden Euro im Berliner Haushalt 2,8 streichen. Wie genau Berlin zurechtgestutzt werden soll, wurde am Mittwoch im Haushaltsausschuss diskutiert. Dort offenbarte Staatssekretärin Ellen Haußdörfer gleich zu Beginn, dass der Kahlschlag durchgezogen wird, obwohl die Regierung die Folgen nicht absehen kann. Erst mal werde das Parlament den Haushalt beschließen, orakelte sie. »Ob und was genau sich ändern wird«, könne sie aber noch nicht sagen.
»Wir wissen nicht, wo gekürzt wird«, kritisierte auch Oliver Bürgler, Landesgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Berlin, auf der Kundgebung am Donnerstag gegenüber jW. Die Einzelpläne seien noch nicht öffentlich. Da helfe auch nicht, dass man die Tarifvorsorge einpreise. Die Regierung gab am Vorabend bekannt, dass den freien Trägern der Kulturlandschaft ihre 50 Millionen Euro doch nicht komplett gestrichen werden. Ein kleiner Erfolg. Darum heißt es laut Bürgler jetzt: »Kämpfen, kämpfen, kämpfen!« Besonders gesprächsbereit ist die Kahlschlagskoalition aber nicht. Ulrike Kostka, Direktorin bei Caritas Berlin, bemängelt: »Die Verbände sind überhaupt nicht beteiligt worden.« Sie hätten zwar ihre Sachkenntnis eingebracht, die Regierung die Kürzungsliste aber ohne sie beschlossen. »Das ist eine Katastrophe. Jetzt können wir nur versuchen, das Schlimmste zu verhindern.« Noch immer stünden Projekte auf der Liste, »die existentiell sind für Berlin«.
Die Demo ist überraschend jung. Hinter einem selbstgemalten Banner, das eine Pusteblume zeigt, tummeln sich Jugendliche, die ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) machen. Gegenüber jW fasst Marten, der sein FÖJ in der Domäne Dahlem macht, ihr Anliegen zusammen: »Uns wird das soziale und ökologische Fundament der Stadt weggekürzt. Gleichzeitig ist genug Geld da für Autobahnbau und billige Parkgebühren.« Die Regierung spare »immer wieder bei den Ärmsten der Armen«, meint Barbara Breuer, Pressesprecherin der Berlin Stadtmission. So seien die Notunterkünfte der Kältehilfe nur noch bis Ende 2024 finanziert. »Mitten im Winter« könnten solche Angebote nicht gekürzt werden. Die Träger gingen dann »in Vorleistung – ins Risiko«. Vor allem dürfe es im sozialen Sektor nicht dazu kommen, dass Bedürftige gegeneinander ausgespielt werden. »Alles gleich wichtig. Nix kann man streichen!«
Das Geld wäre da, meint Gökhan Akgün, Vorsitzender der GEW Berlin. Unweit, aber solidarisch mit der Kundgebung vor dem AGH streiken Lehrerinnen für kleinere Klassen und gute Arbeitsbedingungen. Eine Steuernachprüfung für das Jahr 2023 habe 200 Millionen Euro in den Berliner Haushalt gespült, obwohl nur wenige Unternehmen geprüft worden seien. Man solle sich vorstellen, die Regierung ließe alle Großfirmen prüfen. »Berlin könnte Milliarden einnehmen. Da sollen sie die Kohle herholen.« Auch Katina Schubert, Abgeordnete der Linken Berlin, bemängelt die »falschen Prioritäten«. Würde das Land Berlin seine Einnahmen steigern, etwa seinen Kreditrahmen ausschöpfen, müsste weder bei Bildung noch Kultur noch Klima gekürzt werden. Johannes Frank, Sprecher der Linksjugend Solid Berlin, ergänzt: »Der Kürzungshammer ist Klassenkampf von oben.«
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Ähnliche:
- 08.11.2024
Der Kanonenkanzler
- 17.05.2022
100 Milliarden fürs Töten
- 16.11.2016
CDU-Schelte für »Schattenhaushalt«
Regio:
Mehr aus: Inland
-
»Die Stadt produziert aktiv Armut«
vom 06.12.2024 -
Bund braucht Nachschub
vom 06.12.2024 -
Die Show an den Grenzen
vom 06.12.2024 -
Vergnügte Betrüger
vom 06.12.2024 -
»Der Konzern bevorzugt die billigste Lösung«
vom 06.12.2024