Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Gegründet 1947 Donnerstag, 12. Dezember 2024, Nr. 290
Die junge Welt wird von 2993 GenossInnen herausgegeben
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025 Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 06.12.2024, Seite 6 / Ausland
Brasilien

Der brasilianische Staat ist schuldig

Interamerikanischer Gerichtshof für Menschenrechte urteilt zum Massaker von Acari vor 34 Jahren
Von Norbert Suchanek, Rio de Janeiro
imago380180891.jpg
Nimmt Brasilien in die Pflicht: Der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in San José

Im Juli 1990 verschwand eine Gruppe von elf schwarzen Jugendlichen spurlos im Norden von Rio de Janeiro. Indizien deuteten darauf hin, dass sie von einer Todesschwadron ermordet wurden. Doch bis heute hat die brasilianische Justiz weder die Leichen gefunden noch den Fall aufgeklärt. Nun hat der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte (Corte Interamericana de Derechos Humanos, Corte IDH) mit Sitz in Costa Rica sein Urteil über das sogenannte Massaker von Acari gefällt und am Mittwoch im Hauptsitz der brasilianischen Anwaltskammer in Rio de Janeiro öffentlich bekannt gegeben. »Der brasilianische Staat«, so die Pressemitteilung des Gerichtshofs, »ist für das gewaltsame Verschwindenlassen von elf jugendlichen Bewohnern der Favela Acari am 26. Juli 1990 verantwortlich«. Gleichfalls verantwortlich sei er für die »schwerwiegenden Mängel in den Ermittlungen« inklusive der Ermordung zweier Verwandter, die die Aufklärung der Vermisstenfälle vorangetrieben hatten.

Laut dem IAGMR-Urteil brachen in der Nacht des 14. Juli 1990 sechs uniformierte Beamte der Landespolizei von Rio, die Teil der Caballos Corredores genannten Todesschwadron waren, in das Haus von Edméa da Silva Euzebio ein und nahmen Edson de Souza Costa, Moisés dos Santos Cruz und Viviane Rocha da Silva fest. Sie drohten, sie zu töten, und forderten eine hohe Geldsumme. Zwölf Tage später stürmte eine Gruppe von etwa acht vermummten Mitgliedern der Todesschwadron das Haus von Laudicena de Oliveira Nascimento. Sie gaben an, Polizisten zu sein, forderten gleichfalls Geld und entführten die im Haus befindlichen Jugendlichen.

Bis heute, so der Gerichtshof, sei der Aufenthaltsort der elf Jugendlichen von Acari, Wallace Souza do Nascimento, Hedio Nascimento, Luiz Henrique da Silva Euzebio, Viviane Rocha da Silva, Cristiane Leite de Souza, Moisés dos Santos Cruz, Edson de Souza Costa, Luiz Carlos Vasconcellos de Deus, Hoodson Silva de Oliveira, Rosana de Souza Santos und Antonio Carlos da Silva unbekannt. Das von der Justiz in Rio de Janeiro eingeleitete Strafverfahren wurde am 10. April 2011 wegen fehlender »Mindestbeweisgrundlage« eingestellt und archiviert. Eine daraufhin 2015 von den Familienangehörigen der Vermissten eingereichte Klage gegen den Bundesstaat Rio de Janeiro auf Wiedergutmachung materieller und moralischer Schäden wurde unter Anwendung der Verjährungsfrist nicht fortgesetzt.

Bereits im Januar 1993 wurden Edmea da Silva Euzebio, eine der Gründerinnen der Gruppe »Mütter von Acari«, die auf Aufklärung des Falles drängten, sowie ihre Nichte Sheila da Conceição mitten in Rio de Janeiro regelrecht hingerichtet. Kurz zuvor hatte die Mutter vor einer Justizbehörde ausgesagt, dass Polizeibeamte am Verschwinden der elf jungen Menschen beteiligt gewesen seien. Es dauerte elf Jahre, bis das Schwurgericht der Millionenmetropole sein Urteil darüber fällte: Im April sprach es die vier des Mordes an Edmea da Silva Euzebio und ihrer Nichte verdächtigen Polizisten aufgrund mangelnder Beweise frei.

Nach Analyse des Falles und der vorliegenden Beweise stellten die Richter des IAGMR abschließend fest, dass die elf jungen Menschen aus Acari von Staatsbeamten gewaltsam entführt wurden. Gleichfalls kamen sie zu dem Schluss, »dass der Staat keine ernsthafte, objektive und wirksame Untersuchung zur Aufklärung des Falles durchgeführt hat«. Darüber hinaus urteilte das IAGMR, dass die Angehörigen der Opfer und insbesondere die »Mütter von Acari« bei ihrer Suche nach den Vermissten und nach Gerechtigkeit behindert wurden.

Aufgrund dieser Verstöße ordnet der Gerichtshof laut seinem Urteil nun mehrere Maßnahmen an. Unter anderem solle die brasilianische Justiz die Untersuchung des gewaltsamen Verschwindenlassens der elf Jugendlichen aus Acari fortsetzen sowie eine gründliche Suche nach dem Aufenthaltsort der vermissten Jugendlichen veranlassen. Darüber hinaus sollen ein Raum der Erinnerung im Viertel Acari geschaffen sowie eine »Diagnose« der Aktivitäten von »Milizen« und »Vernichtungsgruppen« im Land erstellt werden.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

  • Will zurück ins Präsidentenamt: Lula bei einer Wahlkampfveransta...
    02.05.2022

    Politisierte Justiz

    UN-Menschenrechtsausschuss: Ermittlungen gegen Brasiliens Expräsidenten Lula waren rechtswidrig und parteiisch

Regio:

Mehr aus: Ausland