Frankreichs Regierung gestürzt
Von Hansgeorg HermannEine deutliche Parlamentsmehrheit hat am Mittwoch abend Frankreichs rechtskonservativen Regierungschef Michel Barnier gestürzt. 331 Abgeordnete der 577 Köpfe zählenden Nationalversammlung unterstützten den Misstrauensantrag. Eingereicht worden war er von der linken Volksfront (Nouveau Front Populaire, NFP), doch auch die gesamte Fraktion des extrem rechten Rassemblement National (RN) unterstützte ihn.
Barnier war erst drei Monate zuvor, am 5. September, von Staatschef Emmanuel Macron zum Ministerpräsidenten ernannt worden – allerdings unter Missachtung des Ergebnisses der Nationalwahl vom 7. Juli. Da hatte Barniers Partei, Les Républicains, lediglich 46 Mandate errungen. Das Misstrauensvotum richtete sich insofern vor allem gegen Präsident Emmanuel Macron selbst, der nach der krachenden Niederlage seiner wirtschaftsliberalen Partei Renaissance bei den EU-Wahlen am 9. Juni das Parlament aufgelöst und für den Juli Neuwahlen festgesetzt hatte. NFP und RN forderten am Mittwoch den Rücktritt Macrons.
Während sich zu Hause in Frankreich die seit Monaten andauernde Staats- und Regierungskrise zuspitzte, war Macron einmal mehr als Waffenhändler unterwegs. Bei seinem dreitägigen Besuch in Saudi-Arabien in dieser Woche ging es nicht nur um den Krieg in Nahost, sondern auch um den Verkauf französischer Kampfbomber vom Typ Rafale aus der Waffenschmiede Dassault. Aus Riad ließ Macron noch am Montag verlauten, er halte es für ausgeschlossen, dass man seinen Regierungschef in schweren Zeiten »einfach so stürzen« könne. Seinen eigenen Rücktritt, von jüngst in Meinungsumfragen ermittelten 65 Prozent der Franzosen befürwortet, schloss der Präsident bei seiner Rückkehr nach Paris am Mittwoch abend »kategorisch« aus.
Barnier überreichte am Donnerstag vormittag im Präsidenntenpalast Élysée seine Demission. Er und seine gesamte Ministerriege bleiben vorläufig als »geschäftsführende Regierung« im Amt. Es ist nun erneut an Macron, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Barnier zu ernennen. Mit großer Geste hatte der Präsident bei der Ankunft in der Hauptstadt verkündet, er werde »innerhalb von 24 Stunden« eine Entscheidung bekanntgeben. Die müsste entsprechend demokratischer Gepflogenheiten im Hinblick auf das Wahlergebnis vom Juli logischerweise auf eine Kandidatin oder einen Kandidaten des Wahlsiegers, der linken Volksfront also, fallen. Dass ihn Wahlarithmetik oder aus dem 65 Millionen Menschen zählenden Volk aufsteigende Wünsche nach sozialer Gerechtigkeit wenig interessieren, hat Macron seit Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2017 allerdings immer wieder bewiesen. Die »Rentenreform« etwa setzte er – vom Verfassungsparagraphen 49.3 legitimiert – am Parlament vorbei per Dekret durch.
Ohne die im Juli verlorene relative Parlamentsmehrheit gelang ein solches Verfahren dem Gehilfen Barnier dieses Mal nicht. Der Verabschiedung per 49.3 eines Sozialhaushalts, der unter anderem schwere finanzielle Einschnitte in das Gesundheits- und Rentensystem vorsah, folgten sofort die Misstrauensanträge der beiden größten Fraktionen und der Sturz der Regierung. Es war jedoch keine »Allianz« der »extremen Rechten mit der Volksfront«, wie sich die Macron und seiner neoliberalen Ideologie geneigten Print- und TV-Medien noch am Mittwoch abend empörten, sondern sich überschneidende Interessen zweier politischer Lager, die auch künftig alles andere als partnerschaftliche Beziehungen pflegen werden.
Macrons denkwürdiger Plan sah vor, mit dem bürgerlich-konservativen ehemaligen Brexit-Verhandlungsführer Barnier als Premier das gesamte rechte Lager, also auch Marine Le Pens extreme Truppe auf seine Seite zu bringen und gemeinsam wenigstens einen Teil jener Schäden zu reparieren, die unter anderem seine vielen milliardenteuren Geschenke an die Unternehmer im Staatshaushalt verursacht haben. Und das unter weitgehendem Ausschluss der linken Wahlsieger natürlich, deren wichtigster Anführer Jean-Luc Mélenchon dem Staatschef wohl ebenso verhasst ist wie RN-Fraktionschefin Le Pen. So denkwürdig das Unterfangen war, blieb es doch erfolglos. Eine Erklärung wollte Macron am Donnerstag abend nach jW-Redaktionschluss im Fernsehen abgeben.
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