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Aus: Ausgabe vom 06.12.2024, Seite 11 / Feuilleton
DDR-Geschichte

Mielke baut eine Kirche

Warum die Staatssicherheit der Neuapostolischen Gemeinde ein Gotteshaus errichtete
Von Christian Stappenbeck
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Da stand sie noch: Gebäudeensemble der NAK am Lichtenberger Münsterlandplatz, 2014

Ein kirchlicher Glückwunsch für einen Geheimdienstchef – ungewöhnlich. Dass die Neuapostolische Kirche (NAK) dem Generaloberst Erich Mielke zum 80. Geburtstag gratulierte, zeugt von einem harmonischen Verhältnis. War Erich Mielke neuapostolisch? Das dürfen wir wohl ausschließen. Nicht er, aber sein Bruder Heinz stand dieser Glaubensgemeinschaft, die auf einem erneuerten Apostelamt und der exklusiven Ausgießung des Heiligen Geistes beruht, nahe. Verbürgt ist jedenfalls: Stasi-Chef Mielke erfreute sich am 28. Dezember 1987 eines Grußschreibens von Bezirksapostel Wilhelm Pusch namens der neuapostolischen Gemeinden Berlins. Die waren ihm dankbar für ein besonderes Geschenk.

Das Geschenk – man sollte eher sagen: das vergoldete Trostpflaster für einen Verlust – bestand in einem noblen neuen Sakralbau. Nun gibt es in der Geschichte Hunderte Fälle, dass ein Staat, ein Herrscher, ein Mäzen den Gläubigen eine Kirche spendierte. Sogar einen Moscheeraum richtete der preußische Soldatenkönig für seine muslimischen Lanzenreiter ein. Doch als einzigartig kann gelten, was vor 45 Jahren in Deutschland-Ost passierte: Die neuapostolische Gemeinde Lichtenberg zog aus bescheidenen Gebäudeverhältnissen hinaus in einen prächtigen Kirchneubau, dessen Kosten und Ausführung bis hin zur eingebauten Tontechnik (ein Schelm, wer Böses dabei denkt!) ganz und gar die Geheimpolizei des Staates trug. Weder die Katholiken noch die Evangelischen hatten in drei Jahrzehnten DDR irgendein vergleichbar üppiges Gotteshaus errichten können, geschweige denn bezahlt bekommen. Ihr missgünstiger Blick auf die Konkurrenz, abfällig »die Sekte der Neuapostolen« genannt, wurde nicht freundlicher.

Zu dem harmonisch wirkenden Verhältnis Staat–NAK gehört die Tatsache, dass es sich der DDR-Staatssekretär für Kirchenfragen, Klaus Gysi, nicht nehmen ließ, in seinem Amtssitz das Kirchenoberhaupt, den Stammapostel Hans Urwyler aus der Schweiz, zu empfangen. (Man muss wissen, dass der Stammapostel einem Patriarchen entspricht, während der Bezirksapostel Pusch in etwa mit einem Erzbischof vergleichbar ist.) Die Atmosphäre war laut neuapostolischem Protokoll »ausgesprochen freundlich«, über die Begegnung berichtete amtlich auch das Neue Deutschland. Nach einer nicht unabhängig überprüfbaren Meldung äußerte Gysi gegenüber hochrangigen NAK-Vertretern: Für ihn würde »wenn er nicht schon weltanschaulich gebunden wäre, nur die neuapostolische Kirche« für eine Mitgliedschaft seinerseits in Frage kommen. Das passt zu Gysis hintersinnigem Humor. Vom erwähnten Apostel Wilhelm Pusch wird berichtet, dass er nach der weisen Maxime handelte: »Stille sein und keine schlafenden Hunde wecken!«

Zum Lichtenberger Neubau gehört die folgende Vorgeschichte. Der alte Kirchsaal der Gemeinde aus Weimarer Zeiten lag in der Normannenstraße 20. Es war ein schlichter Klinkerbau neben einer Wohnanlage des Architekten Bruno Taut im Stil der Neuen Sachlichkeit. Und es lag in friedlicher Nachbarschaft zum Ministerium für Staatssicherheit, einer Behörde, die seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts stetig anwuchs. Im wachsen begriffen war auch die neuapostolische Gemeinschaft in der DDR, sie wurde bei steigenden Mitgliederzahlen zur drittgrößten Religionsgemeinschaft im Osten. Übrigens vermuteten die Berliner Nachbarbewohner eine amerikanische Sekte im Kirchenhaus Normannenstraße, weil häufig Westberliner Pkw zum Schulchorsingen anreisten. Was die Nachbarn dachten, war aber nicht wichtig. Brisant war, dass das Haus nur zehn Meter neben dem Dienstgebäude und der sogenannten Ministereinfahrt Mielkes lag, so dass eine dauernde Einsichtnahme der Kirchenleute ins Rein und Raus der Schlapphüte möglich war. Für den Minister unangenehm. Aus Sicherheitsgründen wünschte, nein verlangte das MfS nun die »Verlagerung des Kirchsaals«, wobei ein größtmögliches Entgegenkommen der Regierung signalisiert wurde.

Das neu gefundene Grundstück in Lichtenberg lag circa 30 Minuten Fußweg entfernt. Die Gemeinde stimmte wohl oder übel zu. Mehrere Kleingärten mussten dran glauben, damit gebaut werden konnte. Mit tatkräftiger Hilfe des Wachregiments »Feliks Dzierżyński« und mit außerplanmäßig beschafften Baustoffen errichtete die MfS-Firma SHB (Spezialhochbau Berlin) einen repräsentativen Neubau: Das Kirchenschiff hatte eine Grundfläche von 1.150 Quadratmeter und beherbergte 2.500 Plätze. Zum Gemeindezentrum gehörten ein Garagenkomplex, eine Sakristei, ein Chorübungsraum – recht großzügig. Anfang 1979 war außer der Orgel alles fertig. Als Sahnehäubchen für den Sakralbau installierten die Helfer vom MfS in das Gemeindezentrum eine Anlage »modernster westlicher Ton- und Übertragungstechnik«. Und so war unter Garantie gewährleistet, dass kein feindlicher Geheimdienst seine Nase bzw. Lauscher in das Gotteshaus stecken würde. Man war allseits zufrieden.

Obrigkeiten gingen und kamen. Die Stürme der Zeitgeschichte konnten dem Gotteshaus nichts anhaben. Vier Jahrzehnte diente es der Gemeinde, bis zum Tag, da sie zum Opfer einer Fusion wurde. Am 15. April 2022 musste man den Abschiedsgottesdienst feiern. Geht der neugierige Spaziergänger heute an der Ecke Münsterland-/Wönnichstraße am Grundstück der Lichtenberger Neuapostolischen vorbei, sieht er einen Trümmerhaufen. Der Landesvorstand der NAK hatte es 2019 so beschlossen; denn die Betriebs- und Reparaturkosten des Bauwerks wurden zu hoch. Ein Investor, der im Rahmen eines Erbbaupachtmodells Wohnungen plant, ließ das Gebäude abreißen. Nur ein Blick auf die »homepage in memoriam« der »ehemaligen Gemeinde Berlin-Lichtenberg« erlaubt noch eine Ansicht des imposanten Bauwerks.

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