Verlage fordern direkten Zugriff
Von Gert HautschVon einer »tektonischen Verschiebung« schrieb die FAZ am 7. November 2024 über das, was sich beim Pressevertrieb in Deutschland abzeichnet. Zum Geschäft mit gedruckten Medien gehören nicht nur die Zeitungen und Zeitschriften bzw. die Verlage. Wichtig ist auch, was sich meist unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung abspielt: die Wege von der Druckerei zur einzelnen Verkaufsstelle. Anfang November 2024 sorgte ein Vorstoß von elf Unternehmen für Aufsehen, die diesen Bereich völlig neu gestalten wollen.
Wie landet eine Zeitung am Kiosk? Das derzeitige System des Pressevertriebs besteht seit rund 70 Jahren. Es beruht nicht auf staatlichen Vorgaben, sondern einer freiwilligen Selbstverpflichtung zwischen Verlagen, Groß- und Einzelhändlern. Der entscheidende Grundsatz lautet: Alle Titel werden prinzipiell gleich behandelt und alle Regionen gleich beliefert. Dafür sorgen die Pressegroßhändler, auch Grossisten genannt, die festgelegte Handelsspannen, sprich Einkaufs- und Verkaufspreise, mit den Verlagen vereinbaren. Sie sind – aus Kostengründen – in ihren Gebieten Monopolisten und beliefern die Presseverkaufsstellen im ganzen Land.
Doch die Branche steht unter wirtschaftlichem Druck, weil die Auflagen und damit die Umsätze schrumpfen. Zwischen 2010 und 2024 ist die Zahl der Verkaufsstellen von 123.000 auf 77.600 gesunken. Von 58 Grossisten sind nach Fusionen nur 13 übrig geblieben. Der Umsatz im Presseeinzelhandel ist von 2,5 auf 1,4 Milliarden Euro zurückgegangen.
Das System reibt sich schon seit langem mit den Profitinteressen der Verlage. Denen sind ihre Profite zu klein und die Handelsspannen der Grossisten zu hoch, obwohl sie in den vergangenen zehn Jahren schon deutlich gesenkt worden sind. Die Grundstruktur blieb indes erhalten. Bis heute handeln Pressegrossisten und Verleger Verträge aus. Noch sind sie voneinander abhängig.
Das soll nun anders werden. Unter dem einfallsreichen Namen »Fit for Future« (FFF) haben sich elf Verlage und vier Großhändler verbündet und fordern eine grundlegende Neuordnung. Sie wollen eine zentrale Firma in eigener Regie schaffen, die den Pressevertrieb bundesweit gewährleistet. Dahinter stehen Branchenführer wie Bauer, Bertelsmann, Burda, Funke und Springer, mittelgroße wie FAZ, Kelter, Klambt und SZ, sowie die vier Händler 4Press, Qtrado, PVG und Trunk. Neun unbeteiligte Grossisten würden Zulieferer – was immer das bedeuten mag. Der Verlegerverband MVFP war offenbar nicht direkt beteiligt. Anders als derzeit würden die Verlagskonzerne direkten Einfluss auf den Pressevertrieb bekommen.
Darin dürfte – neben den sinkenden Umsätzen – das eigentliche Motiv für den Vorstoß liegen. Die großen Pressehäuser, allen voran Bauer, fordern schon seit langem, dass ihre Produkte auffälliger in den Auslagen präsentiert werden als die Titel aus kleineren Verlagen. Und sie wollen Druckmittel in die Hand bekommen, um die Pressehändler dazu zu zwingen. Ein erweitertes Kündigungsrecht käme da gerade recht. Damit würde ein Grundpfeiler des Systems Pressegrosso gestürzt, das Prinzip der Gleichbehandlung aller Titel im Regal.
Die Folgen wären schwerwiegend. Auch derzeit kann von einer echten Gleichbehandlung meist nicht die Rede sein. Das Pressegrosso funktioniert eher schlecht als recht. Aber noch ist es möglich, dass kleine Verlage eine Chance bekommen, sich zu behaupten, und dass in entlegene Regionen ein reichhaltiges Angebot geliefert wird. Zwar beteuert die FFF-Allianz, »die langfristige Versorgung der Bevölkerung mit Presseprodukten sicherstellen und damit die einzigartige Pressevielfalt nachhaltig sichern« zu wollen. Die geplante Struktur droht aber, das Gegenteil zu bewirken. In eigener Sache warnten laut Evangelischem Pressedienst auch die ausgestochenen Grossisten Anfang November vor »erheblichen Risiken für die Pressevielfalt«. Nicht umsonst ist das neue Modell von einer Zustimmung des Bundeskartellamts abhängig.
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