Scholz und Steuertricks
Von Kristian StemmlerDie mediale Aufmerksamkeit war groß, der Ertrag hingegen gering. Auch bei seinem dritten Auftritt vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) der Hamburgischen Bürgerschaft zum sogenannten Cum-Ex-Skandal blieb Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag seiner Linie treu. Von dem erstaunlich nachsichtigen Umgang der zuständigen Behörden mit den kriminellen Machenschaften Hamburger Banken wollte er nichts wissen. »Mein ganzes politisches Leben habe ich mich für ein gerechtes Steuersystem eingesetzt«, barmte der prominente Zeuge. Eine politische Einflussnahme schließe er aus. An Details konnte sich Scholz nicht erinnern, wie schon bei seinen Auftritten 2021 und im Sommer 2022, damals noch als Kanzlerkandidat.
Steuerhinterziehung und Steuerbetrug seien »keine Bagatelldelikte, sondern schwere Straftaten« und zudem unsolidarisch, führte Scholz aus. Für ihn sei klar, dass die Hinterziehung von Steuern und »Gestaltungsmodelle« wie Cum-Ex konsequent aufgeklärt und verfolgt werden müssten. Während es bei Scholz’ ersten beiden Auftritten um die Verwicklung der Warburg-Bank in die Affäre gegangen war, stand diesmal die landeseigene HSH-Nordbank im Fokus, heute als Hamburg Commercial Bank (HCOB) in privatem Besitz.
Auch die HSH Nordbank hatte sich mit lukrativen Cum-Ex-Geschäften fleißig aus der Steuerkasse bedient. Und zwar zwischen 2008 und 2011. Damals hatte das Geldinstitut in 29 Fällen die Kapitalertragssteuer erstattet bekommen, die zuvor nicht gezahlt worden war. Die Fälle seien bei der Staatsanwaltschaft angezeigt und 2014 rund 126 Millionen Euro an die Steuerverwaltung zurückgezahlt worden, hatte die Bank mitgeteilt. Ende 2018 war die ehemalige Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein auf Anweisung der EU-Kommission an US-Investoren verkauft worden.
Im Gegensatz zur Warburg-Bank hatte die HSH-Nordbank später zur Aufklärung des eigenen Falls beigetragen und eine Art Geständnis in Form eines Berichts der Finanzanwaltskanzlei Clifford Chance vorgelegt. Wenig überraschend erklärte Scholz zu dem Vorgang, sein Eindruck sei 2013 gewesen, dass die Cum-Ex-Fälle bei der HSH-Nordbank mit der Rückzahlung und dem Bericht gut aufgearbeitet worden seien. Dass die staatliche Bank wegen der Fälle weder strafrechtlich verfolgt noch ein Bußgeld verhängt worden sei, sei ihm nicht erinnerlich.
Sicher habe aber keiner der politisch Beteiligten in Hamburg und in Schleswig-Holstein jemals auch nur daran gedacht, dass die Rückzahlung unterbleiben könnte, behauptete Scholz. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass die Summe letztlich auch viel zu gering gewesen wäre, um die HSH-Nordbank zu retten. Dort sei es um Risiken in Milliardenhöhe gegangen. Und wie gehabt, in wichtigen Punkten waren die Erinnerungslücken des Nochkanzlers groß. Etwa in der Frage, ob im Senat der Hansestadt über die Option eines Bußgelds für die HSH-Nordbank gesprochen worden sei.
Neben Scholz wurden am Freitag im PUA noch weitere Zeugen gehört. Auch Hamburgs erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), von 2011 bis 2018 Finanzsenator, schloss jedes Einwirken politisch Verantwortlicher aus. Er sei froh, erklärte er, dass die Arbeit des Ausschusses ergeben habe, »dass die Hamburger Steuerverwaltung ihre Entscheidungen ausschließlich nach Recht und Gesetz trifft und es keine politische Einflussnahme auf die Entscheidungen gegeben hat«. Damit gab er allerdings die Lesart von SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Ausschuss wieder. CDU, Linke und AfD sehen eine Einflussnahme als gegeben an.
Von den Cum-Ex-Geschäften bei der HSH-Nordbank sei er von einem Bankvorstand telefonisch informiert worden, so Tschentscher weiter. Er habe ihn darin bestärkt, eine systematische Aufklärung vorzunehmen. Schleswig-Holsteins frühere Finanzministerin Monika Heinold (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, ihr Vertrauen sei groß gewesen, dass die Dinge im Zuge der Aufarbeitung der HSH-Nordbank-Fälle bei den zuständigen Stellen geklärt würden – »bei der Finanzbehörde und der Hamburger Staatsanwaltschaft«. Der frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) sagte, er habe von Cum-Ex- oder Cum-Cum-Geschäften bei der HSH-Nordbank nichts gewusst. Der Warburg-Gesellschafter Christian Olearius sei ihm nicht bekannt.
Zum Thema HSH Nordbank möchten SPD und Grüne noch die früheren CDU-Bürgermeister Ole von Beust und Christoph Ahlhaus befragen. Dann soll der Abschlussbericht erarbeitet werden, über den am 17. Januar abschließend entschieden werden soll. So könnte der PUA regulär noch vor der Bürgerschaftswahl am 2. März enden.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (8. Dezember 2024 um 22:28 Uhr)Dieser Kanzler wird als »Olaf die Lücke« in die Geschichtsbücher eingehen. Welche außer Gedächtnis- und Baulücke sollten noch erwähnt werden?
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