Freie Bahn für Israel
Von Knut MellenthinIn der syrischen Hauptstadt Damaskus herrschten am Montag Anspannung und Unruhe. Läden seien aus Angst vor Plünderungen geschlossen geblieben, auf den Straßen bewegten sich »Gruppen, die wie Banden aussehen«, berichtete dpa. Zugleich herrsche an der Grenze zum Libanon großer Andrang. Zahlreiche Syrer, die vor dem Krieg geflohen waren, wollten wieder zurückkehren. So unklar die Lage zunächst blieb, für Israel und die USA ist der Sturz der Assad-Dynastie nach über 50 Jahren eine »großartige Chance«, die aber »bedeutende Gefahren mit sich bringt«, wie der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu am Sonntag sagte. Die Gefahren mussten als Rechtfertigung für weit mehr als hundert Angriffe auf Ziele in verschiedenen Teilen Syriens innerhalb weniger Stunden herhalten.
Allein die USA meldeten am Sonntag mehr als 75 Luftangriffe auf Lager, Kämpfer und Führer der Terrororganisation »Islamischer Staat«, von der es lange geheißen hatte, dass sie besiegt sei. Neben Kampfflugzeugen der Typen F-15 und A-10 seien auch Langstreckenbomber des Typs B-52 zum Einsatz gekommen, heißt es in einer Mitteilung des für die Region zuständigen Central Command. Dass es immer noch so viele IS-Ziele in Syrien geben soll, überzeugt nicht: Schließlich begründen die USA ihre illegale militärische Präsenz in Syrien damit, dass sie den IS bekämpfen. Warum wurden die offenbar genau bekannten Ziele nicht schon früher angegriffen, und was haben die US-Streitkräfte dort statt dessen gemacht?
Ähnlich stellt sich die Frage für Israel, dessen Luftwaffe am Sonntag nach vorläufigen Pressemeldungen Dutzende Ziele in Syrien angriff, hauptsächlich – angeblich –, um Waffen und Anlagen zu zerstören, die sonst »feindlichen Kräften in die Hände fallen könnten«. Bis zum Sturz Baschar Al-Assads am Wochenende hatte es so ausgesehen, als gebe es für Israel in Syrien keine schlimmeren Feinde als das »Regime« und den hinter diesem stehenden Iran.
Laut Presseberichten – eine Stellungnahme der israelischen Streitkräfte (IDF) gab es zunächst nicht – wurden am Sonntag mehrere Luftwaffenstützpunkte, Waffendepots und angeblich auch eine Anlage für Chemiewaffen »sehr intensiv« bombardiert. Eine andere Angriffswelle richtete sich gegen Gebäude im »Sicherheitskomplex« der Hauptstadt. Darunter sollen das Hauptquartier der Zollbehörde und Büros des militärischen Geheimdienstes sein. Die gezielte Zerstörung der »strategischen Waffen« auf syrischem Boden werde fortgesetzt, kündigte ein Sprecher der IDF an.
Auf den Golanhöhen drangen Spezialeinheiten der IDF am Sonntag auf syrisches Gebiet vor und bezogen dort Stellung. Netanjahu erklärte das Waffenstillstandsabkommen von 1974, das die Verhältnisse dort seit 50 Jahren regelt, nach Assads Sturz kurzerhand für »zusammengebrochen« und damit ungültig. Staaten, die ebenfalls Verträge mit Israel haben, wie Ägypten und Jordanien, mögen sich vorsehen. Die 1974 vereinbarte »Pufferzone«, die zwischen Syrien und dem 1981 von Israel einseitig und rechtswidrig annektierten Teil der Golanhöhen liegt, ist jetzt einschließlich des syrischen Teils des Berges Hermon von den IDF besetzt. Rechtlich gehört diese Zone, die etwa 80 Kilometer lang ist und eine Fläche von 235 Quadratkilometern hat, unstrittig zu Syrien. Die »Maßnahme« gegen potentielle Feinde sei »defensiv« und »zeitweilig«, behauptet Netanjahu.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (11. Dezember 2024 um 12:49 Uhr)Die Zusammenarbeit des Wertewestens mit Terroristen zum Zweck der Schädigung Russlands hat lange Tradition. Vom Aufbau A-Qaidas im Afghanistan der 80er Jahre gegen die Sowjetunion über die Unterstützung der UCK im Kosovo gegen den serbischen Bündnispartner Russlands bis hin zur Unterstützung für tschetschenische Terroristen, der Unterstützung für Nazibanden in der Ukraine und nun also der Unterstützung für HTS-Terroristen zum Putsch gegen Assad als Verbündetem Russlands. Neben der Unterstützung der Terroristen gab es aber auch schon lange die vorgebliche oder tatsächliche Bekämpfung der selbstgezüchteten Terrorbanden, spätestens seit den Anschlägen auf das WTC 2001. Insbesondere war nach dem Angriffskrieg des Westens gegen den Irak 2003 das Militärpotential des gestürzten Diktators Saddam Husseins in die Hände des Islamischen Staates gefallen, und die koloniale Überheblichkeit des Westens tat das ihre, den Islamismus zum Kristallisationspunkt der antikolonialen Gegenwehr werden zu lassen. Das sind zwei Momente, die auch in Syrien drohen. Das Militärmaterial dort wird nun also zerstört, damit es nicht in die Hände der überraschend erfolgreichen Islamisten fällt. Gleichzeitig stärkt man damit aber auch den antikolonialen Impuls. Neben Stimmen aus den Reihen der sogenannten Rebellen zugunsten einer Zusammenarbeit mit Israel klingen hier und da auch Stimmen durch, die etwa eine Befreiung Jerusalems fordern, vgl. https://linkezeitung.de/2024/12/10/syriens-fall-detaillierte-analyse/. Es bleibt abzuwarten, wie gut sich von Rebellenseite vorgetragene Bekenntnisse zur Pluralität werden durchsetzen können. Die westlichen Angriffe auf Syrien sind dafür nicht unbedingt dienlich. Zumindest offenbaren sie aber ein weiteres Mal die Doppelmoral im Westen, der 2014 die mit Referenden abgesicherte russische Strategie (ohne offenen Militärübergriff) gegen Nazi-Putschisten in der Ukraine vehement verurteilte, nun aber selber – ohne Referenden – einfach offen in Syrien herumbombt.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (10. Dezember 2024 um 11:20 Uhr)Im Trüben zu fischen: In Syrien nutzen alle Akteure die unklare und instabile Lage zu ihrem Vorteil: die Türkei, die Kurden, die USA, Russland und Israel verfolgen ihre eigenen Interessen und kämpfen um Einfluss. Dabei bleiben für die einfachen, leidenden Syrer kaum »Fische« übrig.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (10. Dezember 2024 um 07:55 Uhr)Die Freude im wertegeleiteten Westen ist unendlich groß. Endlich hat mal wieder nach langer Zeit in Syrien einer der Versuche geklappt, einen Systemwechsel zu erzwingen. Unsere Erfahrungen mit den versuchten und realisierten Systemwechseln seit Jugoslawien und Afghanistan oder mit dem Arabischen Frühling sollten uns sehr vorsichtig machen, etwa in dieses Triumphgeheul einstimmen zu wollen. Besser ist es nämlich nirgendwo geworden. Nur unruhiger. Allerdings auch profitabler: Geschwächte Nationalstaaten lassen sich besser ausnehmen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (9. Dezember 2024 um 21:19 Uhr)Wer redet hier denn endlich mal von einem völkerrechtswidrigen Krieg der Kumpane USA und Israel? Sollte nicht schnellstens ein EU-Sanktionspaket geschnürt werden? Wann treten denn der BRD-Kanzler und seine Außenministerin Baerbock vor die Kameras und verurteilen die Bombardierung eines souveränen UN-Staates ohne UN-Mandat? Wo bleiben die BRD-Medien, die ein Trommelfeuer gegen die Kriegstreiber in Washington und Tel Aviv entfachen? Na ja, die Fragen waren natürlich nur rhetorischer Art. Weder der Leisetreter im Berliner Kanzlerbunker, noch die sich angeblich im Völkerrecht »promovierte« Baerbock, noch die blonde Übermutter aus Niedersachsen, die derzeit Brüssel unsicher macht, werden sich mit ihren »best friends ever« anlegen. Von den medialen Schmierfinken, ganz zu schweigen. Schließlich stecken sie mit diesen Verbrechern unter einer Decke. Und außerdem gibt es schließlich in deren kleinen Welt nur einen Aggressor, und der sitzt bekanntlich im Kreml. Verlogenheit und Unmoral, soweit man blickt.
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