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Aus: Ausgabe vom 10.12.2024, Seite 3 / Schwerpunkt
Investigativjournalismus

Enthüller unter Einfluss

Studie: Recherchenetzwerk zu Korruption und organisiertem Verbrechen unter anderem von den USA finanziert und manipuliert
Von Volker Hermsdorf
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Auch der Investmentbanker George Soros spielt in dem Medienskandal eine Rolle

Innenministerin Nancy Faeser verkündete am vergangenen Mittwoch nach einer Sitzung des Innenausschusses, dass die deutsche Bevölkerung vor Manipulationen geschützt werden müsse. Bei dem Treffen ging es auch um eine Analyse des Verfassungsschutzes, in der vor »unzulässiger Einflussnahme fremder Mächte« gewarnt wird, »die so ihre strategischen Ziele verfolgen wollen«. Deren Aktivitäten zielten darauf ab, »in den freien Meinungs- und Willensbildungsprozess einzuwirken«, heißt es in dem Ende November veröffentlichten Dokument. Die darin erhobenen Vorwürfe zielen allerdings nur in eine Richtung. Als einziger Akteur wird Russland gleich sechsmal angeprangert. Die zwei Tage vor Faesers Äußerungen aufgedeckte Einflussnahme der US-Regierung auf das Journalistennetzwerk OCCRP erwähnten die Ministerin und die ihr unterstellten Behörden mit keinem Wort. Das Desinteresse erinnert fatal an die fehlenden Reaktionen nach dem Terroranschlag auf die Pipeline Nord Stream 2.

Die Bundesregierung sieht offenbar keine »unzulässige Einflussnahme« darin, dass Washington versucht, über das 2006 im US-Bundesstaat Maryland gegründete »Organized Crime and Corruption Reporting Project« politische Entscheidungen zu manipulieren. Zu dessen Partnern gehören immerhin auch deutsche Medien mit beachtlichem Einfluss auf den »Meinungs- und Willensbildungsprozess«, darunter der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung, der NDR und der WDR. Das unter anderem durch die Veröffentlichung der »Panama Papers« und der »Pandora Papers« bekanntgewordene OCCRP ist laut dessen Leiter Drew Sullivan die weltweit größte Organisation für investigative Recherchen, verfügt über ein Team von 200 Journalisten, ein Jahresbudget von 20 Millionen Euro und arbeitet mit mehr als 70 internationalen Medienpartnern zusammen. Die mehrfach preisgekrönten OCCRP-Enthüllungen gelten als Musterbeispiel für »Qualitätsjournalismus«.

Dieses Image wird jedoch durch die Recherchen mehrerer internationaler Medien schwer erschüttert. Wie die Onlineportale Mediapart (Frankreich) und Drop Site News (USA), die Zeitung Il Fatto Quotidiano (Italien) und das Netzwerk »Reporters United« (Griechenland) am Montag vergangener Woche mitteilten, hat das OCCRP seit seiner Gründung zwar mindestens 47 Millionen US-Dollar von US-Behörden erhalten, das »Ausmaß seiner Verbindungen zur US-Regierung« aber »verschleiert«. Auch der als Sponsor für »Farbrevolutionen« bekannte US-Milliardär George Soros, die Europäische Union und sechs europäische Länder gehören zu den Geldgebern.

Der Untersuchung zufolge finanziert Washington derzeit rund die Hälfte des OCCRP-Budgets und hat ein Vetorecht bei der Besetzung von Schlüsselpositionen, einschließlich der von Sullivan selbst. Die Organisation sei damit »strukturell abhängig von der US-Regierung«, folgert Mediapart. »Nachforschungen zeigten, dass diese Abhängigkeit auch die Berichterstattung beeinflusst«, so das Portal. Auf Anfrage habe der Vorstand beteuert, dass die Geldgeber kein Recht hätten, »in redaktionelle Belange einzugreifen«, eine Einsicht in die Zuschussvereinbarungen aber verweigert. Sullivan erklärte, »im Gegensatz zu schlechten Akteuren wie Russland« übe die US-Regierung »keinen Einfluss auf die Medien« aus.

Die Untersuchung habe jedoch ergeben, dass die US-Regierung sehr wohl darüber entscheide, »wie die Gelder für bestimmte Berichterstattungen – etwa über Russland und Venezuela – eingesetzt werden«, stellte Mediapart klar. So habe das OCCRP mit den zur Verfügung gestellten Mitteln Berichte über von Washington als »Feinde« betrachtete Länder angefertigt, die sich mit den Interessen der US-Außenpolitik deckten. Jedes Jahr verleiht das sich trotzdem als »unabhängig« bezeichnende Netzwerk Preise an »Antihelden«, die angeblich das meiste für die Förderung von organisierter Kriminalität und Korruption getan haben, darunter 2014 Wladimir Putin und 2016 der venezolanische Präsident Nicolás Maduro. Darüber hinaus soll das State Department zwischen 2015 und 2019 rund 2,2 Millionen US-Dollar zweckgebunden für ein Projekt mit der Bezeichnung »Ausgleich der russischen Mediensphäre« gespendet haben. Zwischen 2019 und 2023 gab es weitere 1,7 Millionen für die »Stärkung des investigativen Journalismus in Eurasien«, einer Region, zu der Russland, China und Zentralasien gehören.

Hintergrund: Blinder Fleck BND

Der OCCRP-Skandal ist zwar das aktuellste Beispiel für den Einfluss der USA auf die Berichterstattung von Medien in aller Welt, aber doch nur eines von vielen. Die gegenüber dem NDR erhobenen Zensurvorwürfe zeigen, wie der lange Arm Washingtons die Informationsfreiheit in Deutschland bedroht. Doch auch die Anfang vergangenen Jahres bekanntgewordenen Zahlungen der Bundesregierung an Journalisten werfen Fragen zur Staatsferne, Transparenz und Unabhängigkeit deutscher Medien auf.

Wie die Bundesregierung Ende Februar 2023 zugab, waren 200 Journalisten in den vorangegangenen fünf Jahren von ihr mit Arbeiten beauftragt worden und haben dabei gut abkassiert. Ein Großteil der offiziell für Moderationen, Erstellung von Texten und Videoinhalten oder Kommunikations- und Medientrainings in diesem Zeitraum geflossenen Honorare – in Höhe von insgesamt rund 1,5 Millionen Euro – ging an 116 Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Bei den privaten Printmedien erhielten 84 Journalisten, unter anderem vom Spiegel, der Zeit und dem Tagesspiegel, Geld von der Regierung. Diese Zahlen gehen aus der Antwort der Bundesregierung vom 27. Februar 2023 auf eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion hervor.

Besonders brisant: Nach Angaben der Bundesregierung kassiert auch eine nicht genannte Zahl von Journalisten »Honorare« vom Bundesnachrichtendienst (BND). Aus Gründen des »Staatswohls« dürfe die Öffentlichkeit jedoch nicht erfahren, um wie viele und welche Medienmitarbeiter es sich handelt und wie hoch die an sie geleisteten Zahlungen sind, hieß es. Die Geheimniskrämerei begründete die von Olaf Scholz (SPD) und Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) geführte Ampelregierung damals unter anderem damit, dass die Zusammenarbeit des deutschen Auslandsnachrichtendienstes mit Journalisten »besonders schützenswert« sei. Die einzelnen »Kooperationspartner« würden nur mit dem BND zusammenarbeiten, wenn die konkrete Zusammenarbeit mit ihnen – auch nicht mittelbar – preisgegeben, sondern absolut vertraulich behandelt werde. Deshalb müsse in diesem Fall das »Fragerecht der Abgeordneten gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen«.

Eine Offenlegung von Kooperationspartnern der Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) unterstellten Behörde würde außerdem »das Ansehen von deutschen Nachrichtendiensten und das Vertrauen in diese weltweit erheblich schädigen«, ergänzte die Regierung. Der absehbare weitere Ansehensverlust derjenigen Medien, die sich zu Erfüllungsgehilfen und Komplizen derer machen, die sie eigentlich kontrollieren sollten, wird offenbar als Kollateralschaden in Kauf genommen. (vh)

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (10. Dezember 2024 um 10:44 Uhr)
    Willkommen zu unserem exklusiven Einsteigerkurs »Mediale Narrative für Anfänger«! Keine Sorge, hier braucht niemand tiefschürfende Gedanken oder kritische Reflexionen. Es genügt, den Mund zu halten und den Profis das Denken zu überlassen – schließlich wissen die am besten, was gut für uns ist. Medien, Regierung und Geheimdienste – eine perfekt abgestimmte Symphonie der Information! Die wahre Kunst besteht darin, die Realität so zu inszenieren, dass sie an ein Hollywood-Drehbuch erinnert: klare Helden, finstere Schurken, ein paar dramatische Enthüllungen (natürlich sorgfältig kuratiert) und eine große Portion patriotischen Pathos. Immer noch skeptisch? Kein Problem! Lies einfach fleißig weiter bei Der Spiegel oder der Süddeutschen Zeitung. Klar, es mag ein wenig inszeniert wirken, aber denk dran: Solange die richtigen Leute manipulieren, ist das völlig in Ordnung. Schließlich schützt uns das alles vor der Manipulation durch andere. Und jetzt, Bühne frei für die nächste große Enthüllung – selbstverständlich völlig uneigennützig und frei von jedem Hintergedanken!

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