Kalte Füße beim NDR
Von Volker HermsdorfDie Recherchen über die Einflussnahme der US-Regierung auf das Journalistennetzwerk OCCRP haben auch in Deutschland einen Medienskandal ausgelöst. Ursprünglich hatte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) die Untersuchung im Januar 2023 initiiert, 18 Monate geleitet und bis dahin unbekannte Details herausgefunden, bevor sich andere daran beteiligten. Dann entschied sich der öffentlich-rechtliche Sender plötzlich, den Bericht zurückzuhalten. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse trotzdem, aber von vier anderen Medien, die dem NDR jetzt vorwerfen, die eigenen Recherchen zu zensieren.
»Laut Dokumenten, die Mediapart vorliegen, ist die Entscheidung erfolgt, nachdem Drew Sullivan, der Leiter des OCCRP, Druck auf die NDR-Führung ausgeübt und falsche Anschuldigungen gegen beteiligte Journalisten erhoben hatte«, berichtete das Portal. Über NDR-Reporter John Goetz habe Sullivan fälschlicherweise verbreitet, er sei von deutschen Geheimdiensten als »russischer Agent« eingestuft worden. Die Recherchen der beteiligten NDR-Journalisten bezeichnete der OCCRP-Chef als »böswillig und unprofessionell«. Auf Anfragen von Medien wies der NDR den Vorwurf, Druck nachgegeben zu haben, zurück. Er entbehre jeder Grundlage und entspreche »in keiner Weise den Tatsachen«. Laut Mediapart begründeten Chefredakteure und Programmleiterin des NDR die trotzdem getroffene Entscheidung zur Beendigung des Projekts damit, dass die Ergebnisse der Untersuchung für das Publikum des gebührenfinanzierten Senders »nicht relevant« und von »geringem Interesse« seien. Die Partnermedien kritisierten die mangelnde Transparenz und die widersprüchlichen Erklärungen daraufhin scharf. Ihnen ist zu verdanken, dass Sullivans Versuch, eine Veröffentlichung zu verhindern, letztlich misslang.
Am 4. Dezember berichtete das NDR-Medienmagazin »Zapp«, das an der Recherche zu OCCRP weder beteiligt noch Teil der internationalen Kooperation war, über den Vorgang. »Wir haben uns statt dessen darauf vorbereitet, im Nachgang über die Recherche und ihre möglichen Auswirkungen zu berichten«, so die Redaktion. Als Folge der ursprünglich von NDR-Autoren angestoßenen Untersuchungen hat der Sender seine Zusammenarbeit mit OCCRP nach eigenen Angaben vorerst auf Eis gelegt und an keinen Projekten der Organisation mehr teilgenommen. Immerhin etwas. Im Gegensatz dazu hätten andere Partner, darunter die Washington Post, der Guardian und der Spiegel, Anfragen zur weiteren Zusammenarbeit nicht beantwortet.
Das Ergebnis der umfangreichen Recherchen zeige nicht nur die engen Verbindungen des OCCRP zur US-Regierung, sondern werfe auch Fragen zur Unabhängigkeit und Transparenz im Journalismus auf, schrieb Mediapart. Dem NDR werfen dessen einstige Partner vor, die Ergebnisse der Untersuchung »faktisch blockiert« zu haben, obwohl die beteiligten Medien überzeugt seien, dass diese von großer öffentlicher Bedeutung sind. Die Vorgänge, so ein Fazit, dokumentierten auch die Herausforderungen, denen sich investigativer Journalismus gegenübersehen kann, wenn mächtige Akteure intervenieren.
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