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Aus: Ausgabe vom 10.12.2024, Seite 7 / Ausland
Nach dem Sturz

Syriens Gefängnistore sind geöffnet

Zehntausende Inhaftierte beim Vormarsch der Islamisten befreit. Freude überwiegt, Unklarheit bleibt
Von Gerrit Hoekman
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Suche nach Angehörigen: Hunderte Syrer machen sich am Montag auf zum Gefängnis Saidnaja nahe Damaskus

In Aleppo, in Hama, in Homs und schließlich auch in der syrischen Hauptstadt Damaskus – wo immer die Islamisten der Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) in den letzten Tagen siegreich waren, öffneten sie die Tore der Gefängnisse. Eine unbekannte Anzahl von Inhaftierten sind nun frei. Die Rede ist von über 100.000 Menschen, die oft seit Beginn des Kriegs in Syrien im Jahr 2011 einsaßen. Einige sogar noch viel länger. Ihre Angehörigen wussten oft nicht, in welchem Gefängnis sie sich befanden oder ob sie überhaupt noch lebten. Entsprechend groß ist nun die Freude über das Wiedersehen.

Das Militärgefängnis in Saidnaja, etwa 17 Kilometer nördlich von Damaskus, war wohl das berüchtigtste. Verlässliche Informationen über die Zustände in Saidnaja gab es kaum, aber viele Gerüchte über Folter, außergerichtliche Hinrichtungen und schlimme humanitäre Zustände. Die Regierung in Damaskus hatte die Vorwürfe stets bestritten. Allein die Gerüchte reichten aber schon aus, um Angst und Schrecken unter den Syrerinnen und Syrern zu verbreiten. Wer sich mit der Regierung anlegte, musste damit rechnen, für lange, lange Zeit in Saidnaja oder einem der anderen Gefängnisse im Land zu verschwinden. »Durchgesickerte Dokumente zeigten, dass der staatliche Sicherheitsapparat die Inhaftierung als ein zentrales Mittel zur Unterdrückung von Dissidenten betrachtete«, schreibt der Guardian.

In der Nacht zu Sonntag wurde Saidnaja von den Islamisten erobert. Guardian-Reporter William Christou gehörte zu den Journalisten, die einen Blick ins Innere des Militärgefängnisses werfen konnten. »Was wir gesehen haben, ist schrecklich«, berichtete er in einem Video. Exemplarisch schilderte das Blatt den Fall von Rarad Al-Tatari, einem Piloten der syrischen Luftwaffe, der sich 1982 während der Niederschlagung eines Aufstands der Muslimbrüder in Hama dem Befehl widersetzt hatte, die Stadt zu bombardieren. Damals war noch Baschar Al-Assads Vater Hafis an der Macht. Nach 43 Jahren in Haft erlangte der Pilot am Wochenende seine Freiheit. Die Bloggerin Tal Al-Malluhi wurde 2009 verhaftet, weil sie die weitverbreitete Korruption im Staatsapparat angeprangert hatte. Damals war sie 19 Jahre alt.

Manche Inhaftierte sollen angeblich über Jahrzehnte von allen Nachrichten abgeschnitten gewesen sein und laut Medienberichten nicht einmal gewusst haben, dass Hafis Al-Assad bereits im Juni 2000 gestorben ist. Das ist allerdings schwer zu glauben, weil viele Mitgefangene lange nach seinem Tod nach Saidnaja gekommen sind und sich die Nachricht von dessen Ableben auch unter der strengsten Bewachung im Gefängnis verbreitet haben müsste. Am Montag meldete die Association of Detainees and The Missing in Saydnaya Prison entgegen der Gerüchte, dass es noch Gefangene in geheimen unterirdischen Zellen gebe, dass alle Inhaftierten bis zum Montag morgen befreit worden seien.

Völlig unbekannt ist dagegen, wer nun freigekommen ist. Vermutlich sind viele darunter, die 2011 friedlich gegen die Regierung von Baschar Al-Assad demonstrierten. Kommunisten, Sozialdemokraten und Bürgerliche, die nichts anderes taten, als ihre Meinung und ihren Unmut mit dem herrschenden System zu äußern. Im Frauenblock in Saidnaja filmte ein Islamist ein kleines Kind, das offenbar zusammen mit seiner Mutter inhaftiert war. In einem ebenfalls von islamistischer Seite aufgenommenen Video sind Frauen in den Zellen zu sehen, deren Kleidung vermuten lässt, dass sie sehr religiös sind. Höchstwahrscheinlich sind auch Dschihadisten des sogenannten Islamischen Staats bei den Freigelassenen oder Mitglieder der mit Al-Qaida verbandelten, salafistischen Fatah-Al-Scham-Front, aus der die HTS hervorgegangen ist, die beispielsweise in den USA, Kanada und Großbritannien wie auch der EU als Terrororganisation eingestuft wird. Es ist das Risiko bei jeder spontanen Generalamnestie, dass auch Leute davon profitieren, die nicht ganz unschuldig im Gefängnis sitzen.

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