Langer Marsch auf Delhi
Von Thomas Berger
Beinahe so verrammelt wie eine Festung ist der Grenzposten Shambu. Er trennt den Unionsstaat Punjab, woher die Masse der bäuerlichen Demonstrierenden stammt, vom benachbarten Bundesstaat Haryana, der auf ihrem Weg nach Delhi liegt. Sieben Verteidigungslinien zählt die Barrikade der Polizei, die Traktoren und andere Fahrzeuge der Bauern aufhalten soll. Aber selbst der Fußmarsch einer kleineren Bauernschar gen Bundeshauptstadt wurde am Sonntag von der Regionalpolizei Haryanas mit Tränengaseinsatz zurückgedrängt. Regiert wird es von der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) Narendra Modis. Sarwan Singh Pandher, Sprecher des aus 101 Organisationen bestehenden Dachverbandes Kisan Mazdoor Morcha (KMM), kritisierte gegenüber dem Indian Express die Gewalt und mangelnde Dialogbereitschaft der Politik.
Seit vier Jahren protestieren Bauern in Indien gegen neoliberale Reformen der Agrarwirtschaft. Der vor einem Jahr gestartete »Marsch auf Delhi« sorgte als größter Streik der Erde für allerhand Schlagzeilen. Durch Zugeständnisse der Regierung von Premierminister Modi wurde er zwar gestoppt, aber keineswegs beendet. Seit Februar blockieren einige wenige Bauern ihrerseits zwei regionale Grenzübergänge, darunter jenen in Shambu. Nach den dortigen, gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei sitzt eine dreistellige Zahl bäuerlicher Aktivisten mindestens temporär im Gefängnis. Andere mussten sich in Krankenhäusern behandeln lassen. Der weitere Vormarsch wurde von KMM vorübergehend unterbrochen.
Kleinbeigeben kommt für die Bauern aber nicht in Frage. Ihre Hände leisten die Feldarbeit, die die nunmehr bevölkerungsreichste Nation der Welt ernährt. Selbst kommen sie vom finanziellen Ertrag ihrer Arbeit oft nur mühselig über die Runden. Teilerfolge konnten die Massenproteste erringen. Eine grundsätzliche Abwendung der regierenden BJP von der neoliberalen Agrarpolitik ist jedoch nicht erkennbar. So sei Pandher zufolge selbst der bisher für immerhin 22 Produkte angeblich garantierte Mindestpreis beim Absatz der jüngsten Reisernte nicht eingehalten worden. Baumwolle verzeichnete derweil massive Ertragsverluste auf Grund von Schädlingsbefall.
Schon die altehrwürdige Kongresspartei (INC) – bis heute stärkstes Element der breiten Oppositionsallianz INDIA – hatte während ihrer Regierungszeit bis 2014 dem Leiden vieler bäuerlicher Familien kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Das Überschuldungsproblem und die hohe Suizidrate, die bei Missernten nochmals ansteigen, wurden nicht angegangen. Unter Modi hat sich seit einem Jahrzehnt allerdings ein noch härterer Kurs durchgesetzt. Was in Verlautbarungen aus Ministerium und führenden BJP-Kreisen als Effizienz- und Modernisierungsstrategie gepriesen wird, stellt sich für die kleinbäuerlich dominierte, indische Landwirtschaft als Ausverkauf des Agrarsektors an internationale Kapitalmärkte und damit absehbar als Abhängigkeit von wenigen großen Konzernen dar.
Dagegen setzt sich das breite Bündnis von Bauernverbänden, das im Punjab als Indiens »Kornkammer« seine wichtigste Bastion hat, zur Wehr. Drei Gesetze für umstrittene Reformvorhaben zogen Modis Getreue zwar auf dem Höhepunkt der Straßenproteste zurück. Eine allgemeine Befriedung blieb aber aus. Auch die Leitung der Protestfront kritisiert, dass der eigentlich vereinbarte Dialogprozess seit Monaten nicht in Gang kommt. Die Lösung grundsätzlicher Fragen um Schuldenerlass, garantierte Mindestpreise beim Aufkaufen der Ernten durch staatliche Stellen und mehr finanzielle Beihilfen ist deshalb noch nicht näher gerückt.
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