Blankoscheck für Genozid
Von Jakob Reimann»Nach 14 Monaten muss ich schon wieder erklären, welches unglaubliche Ausmaß an Leid und Trauer das palästinensische Volk im vorigen Jahr ertragen musste«, beginnt Francesca Albanese am Mittwoch ihre Ausführungen auf der Pressekonferenz in Genf. »Für Verbrechen, für die die Mitgliedstaaten die eindeutige Verantwortung tragen, sie zu verhindern, zu stoppen und zu bestrafen«, adressiert die UN-Sonderberichterstatterin für die palästinensischen Gebiete die internationale Staatengemeinschaft. Und sie stellte klar: Zu diesen Verbrechen »gehört auch Völkermord«.
Neben Albanese erhoben in Genf drei weitere UN-Sonderberichterstatter schwere Vorwürfe gegen Israel sowie gegen Länder, die die ultrarechte Regierung in Tel Aviv bei ihren Verbrechen gegen die Menschen in Palästina unterstützen – insbesondere die Bundesregierung. »Deutschland und die USA liefern 99 Prozent der Waffen, die nach Israel exportiert werden«, sagte der Sonderberichterstatter für die Einhaltung von Menschenrechten im Antiterrorkampf, Ben Saul. »Sie könnten diesen Konflikt über Nacht beenden, wenn sie die Waffen stoppen würden, die Palästinenser töten.« Nach einem kurzzeitigen nahezu vollständigen Stopp neuer Genehmigungen von Rüstungsexporten nach Israel versicherte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am 10. Oktober, dass der Zustrom an Waffen für das vor dem Internationalen Gerichtshof des Genozids angeklagte Israel nicht versiegen werde. »Wir haben Waffen geliefert, und wir werden Waffen liefern«, so Scholz im Bundestag. Saul warnte hingegen, dass die Lieferung von Waffen an Staaten, die damit womöglich Menschenrechtsverbrechen begehen werden, juristische Konsequenzen haben könnte.
Die Sonderberichterstatterin für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten, Margaret Satterthwaite, erinnerte daran, dass der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) »das Erbe der Nürnberger Prozesse« sei, um sicherzustellen, dass »diejenigen, die die schwersten Verbrechen begehen, sich vor einem Gericht verantworten müssen«. Satterthwaite erinnerte an die Ausstellung der IStGH-Haftbefehle Ende November gegen Hamas-Anführer Mohammed Deif, der vermutlich tot sei, sowie gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und dessen ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Gallant, sowie daran, dass das Rom-Statut seine Unterzeichner zur vollständigen Kooperation mit dem IStGH verpflichte. Dazu gehöre auch, per Haftbefehl gesuchte Personen festzunehmen; Immunitätsregelungen fänden keine Anwendung. Erinnert sei hier an die jüngste deutsche Debatte zum Thema, in der sich Vertreter in Politik und Medien quer durch das politische Spektrum dafür starkmachten, den Haftbefehl gegen Netanjahu im Ernstfall nicht zu vollstrecken.
»Wie sind wir an diesen Punkt gelangt?« fragt Albanese in Hinblick auf die »Katastrophe« in Gaza und liefert die Antwort gleich mit: »Straflosigkeit – das ist das Schlüsselwort, um das barbarische Ausmaß zu verstehen, das Israels Völkermord angenommen hat.« Seit jeher habe sich Israel »über zahllose Resolutionen« verschiedener UN-Organe hinweggesetzt sowie UN-Personal und -Einrichtungen angegriffen, »ohne jemals Konsequenzen zu tragen«, auch Sanktionen hätte es nie gegeben. Neben einem Ende der Waffenlieferungen forderte Albanese auch die Aussetzung der UN-Mitgliedschaft Israels, denn ein Land, das die UN-Charta dermaßen mit Füßen trete, dürfe kein Mitspracherecht haben.
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