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Aus: Ausgabe vom 12.12.2024, Seite 6 / Ausland
Konflikt in Osteuropa

Ukraines Luftabwehr überfordert

Russland setzt immer mehr günstige »Shahed«-Drohnen sowie Attrappen zur Täuschung ein
Von Lars Lange
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Die Spurensicherung untersucht nach einem russischen Angriff Fragmente einer Drohne (Saporischschja, 25.11.2024)

Russland hat die Ukraine im November mit insgesamt 2.444 Drohnen der »Shahed«-Familie angegriffen und damit einen neuen Rekord aufgestellt. Die billigen Kamikazedrohnen sind in der Regel mit rund 50 Kilogramm Sprengstoff ausgestattet und richten schwere Schäden an. Am 26. November erreichten die russischen Streitkräfte mit 188 Drohnen fast die 200er-Marke. Durchschnittlich wurden im Monat November 81 Drohnen pro Tag gegen Ziele in der ganzen Ukraine eingesetzt. Offensichtlich ist Russland eine deutliche Ausweitung seiner Drohnenproduktion gelungen.

Die »Shaheds«, die je nach Variante bis zu 1.500 Kilometer Reichweite haben können, werden hauptsächlich gegen die Energieinfrastruktur der Ukraine eingesetzt, gegen Kraftwerke, die Verteilerstationen oder Transformatoren. Und die Wirkung ist verheerend: 65 Prozent der gesamten ukrainischen Energieinfrastruktur seien nach Angaben der New York Times zerstört, Präsident Wolodimir Selenskij hat mit 80 Prozent einen noch höheren Wert angegeben.

Allein am vergangenen Freitag schaltete der staatliche Netzbetreiber Ukrenergo von sechs bis 22 Uhr den Strom für Privathaushalte und für Industrie und Gewerbe von fünf bis 23 Uhr ab. Auch wenn davon auszugehen ist, dass besonders wichtige Rüstungsunternehmen Sonderzuteilungen erhalten, muss davon ausgegangen werden, dass die Auswirkungen nicht nur auf die zivilen Unternehmen verheerend sind, sondern auch die Rüstungsunternehmen erheblich in ihrer Produktion behindert werden.

Die neuesten Modelle der »Shahed« oder »Geran-2«, wie sie russisch heißt, verfügen über verbesserte Navigationssysteme und können sogar manuell gesteuert werden, ähnlich wie auch als Spielzeug verbreitete FPV-Drohnen. Zusätzlich soll die »Geran-2« nun mit künstlicher Intelligenz (KI) ausgestattet werden. Bislang verfügten diese Drohnen über vergleichsweise einfache Steuerungssysteme, die ihre Einsatzmöglichkeiten begrenzten. Der KI-Einsatz verspricht eine erhebliche Steigerung der operativen Fähigkeiten, indem er die Navigation präzisieren, Ausweichmanöver gegenüber Luftabwehrsystemen optimieren und die Zielerfassung kritischer Infrastrukturen deutlich verbessern wird. Dies dürfte eine große Herausforderung für die Luftabwehr der Ukraine darstellen.

Zudem arbeiten russische Ingenieure kontinuierlich an einer Verbesserung der Drohnenplattform. So soll der Gefechtskopf jetzt auch in einer 90-Kilogramm-Variante erhältlich sein und so sein Zerstörungspotential fast verdoppeln. Dieser neue Gefechtskopf »BCh-90« kann dank seiner sogenannten Hohlladungstechnologie besonders gut gegen gehärtete Ziele oder Panzerfahrzeuge eingesetzt werden. Laut dem ukrainischen Fachportal Defence Express sollen einige »Shaheds« mit diesem neuen 90-Kilogramm-Gefechtskopf bereits bei dem Angriff auf die Stadt Saporischschja in der Südukraine am 25. November 2023 eingesetzt worden sein.

Zumindest ein Teil der 2.444 Drohnen, die im November in die Ukraine eingeflogen sind, sind neue »Gerbera«-Drohnen, die kostengünstig wie Flugmodelle hergestellt werden. Die »Gerbera« ähnelt der iranischen »Shahed-136«, ist jedoch kleiner. Ihr Korpus besteht aus Materialien wie Styropor bzw. Polystyrol und Sperrholz statt aus den üblichen Aluminium- oder Verbundwerkstoffen. Mit handelsüblicher Elektronik ausgestattet, kostet die »Gerbera« schätzungsweise nur ein Zehntel vergleichbar großer Drohnen. Stark ist sie in ihrer Rolle als Lockvogel. Sie soll die ukrainischen Luftverteidigungssysteme verwirren und überfordern. Indem Russland massenhaft »Gerbera«-Drohnen einsetzt, zwingt es die gegnerische Luftverteidigung, zwischen verschiedenen möglichen Bedrohungen zu priorisieren. Dies erhöht die Chancen, dass zerstörerische »Shaheds« mit ihren schweren Gefechtsköpfen ihr Ziel erreichen. Auch werden wertvolle Abwehrressourcen verbraucht. Dadurch scheint es der ukrainischen Luftabwehr immer weniger zu gelingen, die »Shahed«-Drohnen zu bekämpfen.

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