Streunende Hunde
Von Holger RömersDie Handlung von »Black Dog – Weggefährten« ist am Rande der Wüste Gobi in einer Stadt angesiedelt, deren bestehende Bebauung einer radikalen urbanen Erneuerung weichen soll. Das heißt, dass die karge Landschaft, die der Protagonist Lang (Eddie Peng) am Anfang bei seiner Heimkehr durchquert, in staubig braunen Breitwandbildern sogleich majestätische Wirkung entfaltet, bevor leerstehende Wohnblocks und ein verwaistes Zoogelände ihrerseits spröde Faszinationskraft entwickeln. Die Melancholie, die der Anblick von offenbar realen, zum Abriss bestimmten Häusern weckt, wird durch die Datierung auf das Jahr 2008 reizvoll akzentuiert: Wenn öffentliche Werbung für die zur Handlungszeit anstehenden Olympischen Spiele ins Bild gerückt wird, lässt sich der beiläufige Hinweis auf das Beijinger Großereignis als Legitimation für landesweite Modernisierungsmaßnahmen auffassen. Da seitdem anderthalb Jahrzehnte verstrichen sind, wird dem Publikum indes bewusst, dass das hier skizzierte Bild des Landes von dessen rasanter Entwicklung schon wieder überholt worden ist.
Regisseur Guan Hu, der auch Koautor des Drehbuchs ist, führt Lang als einen schweigsamen Totschläger ein, der nach jahrelanger Haft in seine Heimatstadt zurückkehrt. Dort sieht er sich mit dem Metzger Hu (Baoliang Sha) konfrontiert, der als Onkel von Langs Opfer auf Rache sinnt. Damit scheinen Handlungsmuster des Western- oder (Neo-)Noir-Genres vorgezeichnet – weshalb um so mehr verblüfft, welche Wendung der gemächliche Plot statt dessen nimmt: Da streunende Hunde den zunehmend menschenleeren Handlungsort erobert haben, wird Lang vom halbamtlichen Bewährungshelfer Yao (Autorenfilmer Jia Zhangke) zum Mitglied einer Hundefängerstaffel gemacht.
Daraufhin wächst dem Eigenbrötler prompt ein Vierbeiner ans Herz; eine Paarkonstellation, deren Vorbilder sich bis in die Stummfilmzeit zurückverfolgen lassen. Allerdings streut das Drehbuch auch Motive ein, die ans europäische Autorenkino der 1980er oder das US-Indie-Kino der 1990er denken lassen. Das gilt etwa für eine Sonnenfinsternis, die die verbliebenen Stadtbewohner versammelt, oder für das Gastspiel einer Zirkustruppe, deren Artistin (Tong Liya) einen zarten Flirt mit dem Protagonisten versucht. Vor drohendem Edelkitsch bewahrt indes eine trockene Situationskomik.
Dass diese gefällige Mischung, die man aus China bisher kaum gewohnt war, auf dem internationalen Arthouse-Markt Erfolg haben kann, ließ bereits der Un-Certain-Regard-Preis beim diesjährigen Festival von Cannes erahnen. In jedem Fall ist »Black Dog – Weggefährten« wohl als Zeichen der gewachsenen Variabilität in der chinesischen Filmindustrie zu werten. Der 56jährige Guan hat nämlich zuletzt vor allem für Filme wie »The 800« (2020) oder (gemeinsam mit sechs Kollegen) für »My People, My Country« (2019) verantwortlich gezeichnet, deren patriotischer Bombast unverkennbar darauf abzielte, Rekordeinnahmen auf dem heimischen Markt zu erzielen.
»Black Dog – Weggefährten«, Regie: Guan Hu, VR China 2024, 116 Min., Kinostart: heute
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