Kugelhagel bleibt ungesühnt
Von Henning von StoltzenbergIm Prozess um die tödlichen Polizeischüsse auf den 16jährigen Senegalesen Mouhamed Lamine Dramé in Dortmund vor rund zwei Jahren sind am Donnerstag alle fünf Angeklagten freigesprochen worden. Das Landgericht erkannte in der Urteilsbegründung weder beim Schützen noch beim Einsatzleiter eine Straftat. Mit diesem äußerst milden Urteil übertraf das Gericht sogar die Anträge der Staatsanwaltschaft, die für vier von fünf Angeklagten Freisprüche gefordert hatte. Aus ihrer Sicht habe etwa der Schütze irrtümlicherweise geglaubt, sich in einer Notwehrlage zu befinden.
Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer allerdings dem Einsatzleiter fahrlässige Tötung vorgeworfen und für eine Haftstrafe auf Bewährung plädiert. Sie begründete die Anklage damit, er habe zu Unrecht und zu unüberlegt den Einsatz von Pfefferspray angeordnet, was den tödlichen Lauf der Dinge erst verursacht habe. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft den Schützen wegen Totschlags angeklagt. Ein Kollege und zwei Kolleginnen waren wegen gefährlicher Körperverletzung, der Vorgesetzte wegen Anstiftung zu dieser vor Gericht gekommen.
Die angeklagten Polizisten hatten ihr Handeln in ihren Einlassungen vor Gericht stets verteidigt: Nach ihrer Version sollte der sich selbst gefährdende Jugendliche durch den Einsatz von Pfefferspray das Messer fallen lassen. Als er dies nicht getan habe, sondern angeblich zum Angriff übergegangen sein soll, hätten sie sich verteidigen müssen.
Der 16jährige Geflüchtete war am 8. August 2022 von fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole der Polizei getötet worden. Er hatte sich im Innenhof einer sozialen Einrichtung in der Dortmunder Nordstadt aufgehalten und sich in einer psychischen Ausnahmesituation ein Messer an den Bauch gehalten. Nach gescheiterten Kontaktversuchen hatte ein Sozialarbeiter die Polizei verständigt. Nachdem die Beamten erfolglos versucht hatten, den Jugendlichen ohne Deutschkenntnisse anzusprechen, ordnete der Dienstgruppenleiter den Einsatz von Pfefferspray an. Angeblich hatte Dramé sich daraufhin auf die Beamten zu bewegt. Die setzten daraufhin einen sogenannten Taser gegen den jungen Mann ein. Praktisch gleichzeitig eröffnete der Schütze das Feuer. Mouhamed Lamine Dramé starb kurz darauf im Krankenhaus.
»Für uns war das ein Urteil der Ratlosigkeit«, erklärte der Sprecher der Initiative »Justice 4 Mouhamed«, William Dountio, im Gespräch mit junge Welt. »Mouhamed hat die Polizisten zu keinem Zeitpunkt bedroht, nur einen Tag zuvor hatte er in der gleichen Wache in der Nordstadt, aus der die Polizisten kamen, nach Hilfe gefragt, die ihm verwehrt wurde«, schilderte Dountio den Ablauf. Es sei eine »große Ungerechtigkeit«, dass der Richter am Donnerstag »neben allen Alternativen wie der Hinzuziehung von Übersetzern und sozialpsychologischem Notdienst nur das Niederschießen von Mouhamed als Option der Polizeibeamten« genannt habe. Nun stelle sich die Frage, wer die Verantwortung für den Tod des Jugendlichen übernehme, wo die Gerechtigkeit für schwarze Personen sei und welche Botschaft diese aus dem Urteil ziehen sollten.
Sascha H. Wagner, Landessprecher der Partei Die Linke in NRW, wertete die richterliche Entscheidung als Skandalurteil. Die »Kultur der Straflosigkeit« für Polizisten, die an tödlichen Einsätzen beteiligt seien, müsse unverzüglich beendet werden, forderte Wagner. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Für Sonnabend ruft »Justice 4 Mouhamed« zu einer Protestdemonstration auf, die um 13.12 Uhr an den Katharinentreppen in Dortmund beginnen soll.
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