Antreten zum Ausverkauf
Von Reinhard LauterbachBundeskanzler Olaf Scholz hat an deutsche Unternehmen appelliert, weiter und mehr in Projekte in der Ukraine zu investieren. Hierbei handle es sich um Investitionen in ein künftiges EU-Mitglied, sagte Scholz am Mittwoch zur Eröffnung des 7. Deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforums in Berlin.
Insgesamt sind laut Bundesregierung etwa 2.000 deutsche Unternehmen in der Ukraine tätig; der Handel sei zwischen 2021 und 2023 auf knapp zehn Milliarden Euro pro Jahr gestiegen. Zum Vergleich: Der deutsche Außenhandel mit Polen, das in bezug auf seine Bevölkerungsgröße etwa gleich groß ist, hat ein Volumen von etwa 100 Milliarden Euro, der deutsche Russland-Handel lag trotz Rückgangs vor den Sanktionen noch bei etwa 40 Milliarden Euro. Warum Scholz mit Stolz darauf verwies, dass die Ukraine bei der Beantragung öffentlicher Investitionsgarantien inzwischen auf Platz eins aller Zielländer liege, ist nicht ganz klar.
Schließlich bedeuten Anträge deutscher Firmen auf solche Garantien genau, dass nicht garantiert ist, dass solche Geschäfte Selbstläufer werden oder mit vernünftig absehbaren Erfolgschancen locken. Scholz äußerte die Zuversicht, dass nach dem Ende des Krieges die ukrainische Wirtschaft in einem Tempo wachsen werde, wie man es zuletzt nur noch in etlichen osteuropäischen Neumitgliedern der EU gesehen habe. Er wünsche sich, dass die deutsche Wirtschaft von diesem Wachstum ebenso profitieren werde wie in jenen Ländern.
Als einen der Schwerpunkte deutscher Investitionen in der Ukraine nannte Scholz die »Verteidigungsindustrie«; diese »Zusammenarbeit« solle dynamisch weitergehen. Hinter der »Dynamik« verbergen sich Projekte wie der Bau von vier Fabriken des Düsseldorfer Rüstungskonzerns Rheinmetall in der Ukraine, näher am »Bedarf«. Laut Scholz ist die Rüstungszusammenarbeit »keine technologische Einbahnstraße«; beide Seiten könnten »viel voneinander lernen und gemeinsam entwickeln«, so Scholz, für den das jahrzehntelange Mantra von »keine Waffenexporte in Krisengebiete« erkennbar ebenfalls der »Zeitenwende« zum Opfer gefallen ist.
Neben Rüstungsgütern exportiert die BRD laut Scholz Maschinen, Chemieprodukte und Autos in die Ukraine; ein weiterer Schwerpunkt sind Anlagen zur Energieerzeugung, insbesondere dezentrale wie kleinere Blockheizkraftwerke, Generatoren und Solaranlagen.
Aufschlussreich war aber auch, was Scholz zur Rolle der 1,2 Millionen Geflüchteten aus der Ukraine sagte: Sie spielten »eine ganz wichtige Rolle« auf dem Weg der Ukraine nach »Europa«, so Scholz, sie verbänden beide Länder auf das engste, und so wie die ukrainische Regierung wünsche sich die BRD nichts sehnlicher, als dass die Ukraine in Frieden leben könne. Von Anreizen zu einer Rückkehr der Geflüchteten kein Wort, obwohl der Anteil der Erwerbstätigen unter ihnen unter dem Durchschnitt der EU-Länder liegt. Erst recht vermied Scholz jeden Hinweis darauf, in Deutschland lebende ukrainische Männer den dortigen Rekrutierungsbehörden auszuliefern. Das könnte sich freilich ändern, wenn im Februar die Union an die Macht kommt; aus deren Reihen sind entsprechende Forderungen bereits laut geworden.
In der Ukraine arbeitet die Regierung derweilen offenbar daran, die verbliebenen Filetstücke der Volkswirtschaft an westliche Investoren auszuliefern. Wie das Portal strana.news vor einigen Tagen unter Berufung auf ukrainische Finanzmarktexperten berichtete, mache insbesondere die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) erheblichen Druck, keine Wiederaufbaumittel an die etablierten ukrainischen Oligarchen zu zahlen. Die Präsidentin der EBWE, Odile Renaud-Basso, habe aus der Verdrängung der aus dem Transformationsprozess hervorgegangenen heimischen Kapitalistenklasse einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit gemacht.
Die Kiewer Regierung ist bei dieser Verdrängung offenbar mehr als behilflich, sie betreibt sie aktiv mit, auch wenn die Operation des Wechsels der herrschenden Klasse im laufenden Betrieb ein nach den Regeln der politischen Ökonomie riskantes Unterfangen sein könnte. So sind nach dem Bericht mehrere Mobilfunknetze, an denen europäische und US-Investoren interessiert sind, den bisherigen Eigentümern wegen des Verdachts früherer Geschäftsbeziehungen zu Russland entzogen und erst gegen die Zusage ihres Verkaufs wieder freigegeben worden.
Ähnliches gilt etwa für Rohstoffvorkommen, zum Beispiel Titanerze. Dass die faktische Beschlagnahme der Aktienpakete ihren Wert in den Keller schickt und damit potentiellen Investoren Schnäppchenpreise in Aussicht stellt, ist der offenkundige Witz und Sinn der Aktion. Vorstandschef der US-amerikanischen Gesellschaft Veon, die gemeinsam mit dem Fonds Blackrock und anderen Investoren das Mobilfunkunternehmen Kyivstar übernehmen will, ist übrigens der frühere US-Verteidigungsminister Mike Pompeo. Nur, dass den niemand einen Oligarchen nennt.
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Leserbrief von Joachim Schulz-Bitsch aus Frankfurt am Main (13. Dezember 2024 um 10:19 Uhr)Pompeo ist nicht CEO von VEON: https://www.veon.com/newsroom/press-releases/veon-welcomes-former-us-secretary-of-state-mike-pompeo-to-kyivstar-board-of-directors
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (13. Dezember 2024 um 09:57 Uhr)Die Ukraine konnte aufgrund einer fehlenden eigenen Elite mit ihrer »Unabhängigkeit 1991« nicht angemessen umgehen. Die daraus resultierenden Folgen sind sowohl demografisch, durch die Abwanderung, als auch politisch, in Form eines Krieges mit einem wesentlich stärkeren Nachbarland, offensichtlich. Es ist daher kein Zufall, dass es inzwischen zu einem wirtschaftlichen Ausverkauf gekommen ist, der die Zukunftsperspektiven des Landes weiter beeinträchtigt. All dies zusammen zeigt deutlich, dass die Ukraine kein eigenständiges Land mehr ist und ein Wiederaufbau allein nicht ausreichend sein wird. Höchstwahrscheinlich wird das Land in zwei Teile geteilt: einen russischen und einen europäischen Teil, in denen diese Schutzmächte der lokalen Bevölkerung helfen werden. Bis ein dauerhafter Frieden erreicht ist, geht es darum, wo genau die Grenzen dieser Teilung verlaufen werden.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (12. Dezember 2024 um 23:02 Uhr)Das Wort »Monogarch« als Steigerungsform von »Oligarch« hat hat halt noch keiner erfunden. Fragt sich, ob Monopole und Oligopole wesentlich verschieden sind.
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