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Aus: Ausgabe vom 13.12.2024, Seite 10 / Feuilleton
Ballett

Fast wird es gefährlich

Glühendes Orange: Aszure Bartons »Slow Burn« und William Forsythes »Blake Works V (The Barre Project)« am Hamburg-Ballett
Von Gisela Sonnenburg
Aszure Barton_Slow Burn_TänzerInnen_Ensemble Hamburg Ballett_©
Farbe des Pop: Aszure Bartons »Slow Burn«

Licht, Kostüme und Stimmung: In »Slow Burn«, der am vergangenen Sonntag in Hamburg uraufgeführten jüngsten Kreation von Starchoreographin Aszure Barton, ist alles orange. Nicht etwa, weil sie eine zu spät gekommene Bhagwan-Anhängerin wäre. Sondern weil ihr Thema, das langsame Verbrennen, ein glühendes Orange vorgibt. Außerdem, so Barton, verspricht die Farbe des Pop zugleich Freude und gute Laune. Beim Hamburg-Ballett weiß man Bartons assoziatives Talent zu schätzen und tanzt ihr Stück mit vollem Einsatz. Die Zündschnur, die hier brennt, ist lang.

Silvia Azzoni (51) und Madoka Sugai (30) bilden als »Weise Frauen« die beiden Hauptpersonen. Azzoni, auch in anderen Stücken in Hamburg zu bewundern, ist ein tanzbiologisches Wunder: Sie tanzt, als wäre sie noch in den Zwanzigern. Sugai ist ebenfalls eine der großen Ballerinen der Truppe: Hier bilden sie ein Paar, das gemeinsam durchs Leben geht.

In dunklem Orangerot wirkt ihr Ornat, also ihre Kleider, Hosen und Röcke – eine große Stoffblume ist als feminines Requisit dabei –, als kämen die zwei geradewegs aus Mailand vom Laufsteg einer Modenschau. Die Kostüme von Michelle Jank begeistern: Auch die Ensemblegewänder in Gelb und Orange strotzen nur so vor detailreichen Einfällen. Rüschen und hochgezogene Taillen, Tüllröcke und Schichtungen von Stoffen ergeben abwechslungsreiche Silhouetten mit tänzerischem Schwung.

Die beiden weisen Damen sind was Besonderes. Sie sind Königinnen, die einander begehren und unterstützen. Manchmal gehen sie mit jeweils eigenem Hofstaat aufeinander zu, und es wird fast gefährlich. Aber Konflikte werden mit Verhandlungen gelöst, nicht mit kriegerischem Abschlachten.

Aszure Barton führt eine weiblich dominierte Friedensgesellschaft vor, eine Utopie, in der die matriarchale Form der Liebe und Zuneigung als höchster Wert auch von den Männern akzeptiert wird. Mit Soli, Paartänzen und abwechslungsreichen Gruppenszenen bezaubert das Stück. Vor allem neuartige Reigen, die im Sitzen, Liegen, Kriechen und Stehen ausgeführt werden, zeigen das Talent von Barton, Menschen zu bewegen.

Am Ende kommen die 26 Tänzerinnen und Tänzer im Gleichschritt an die Rampe, die Oberkörper nach vorn gebeugt, mit den gesenkten Köpfen im Takt wackelnd. Dennoch verströmen sie so viel Freude und Energie, dass man nicht anders kann, als begeistert zu sein. Zumal die ebenfalls uraufgeführte Musik von Ambrose Akinmusire, die mit einer guten Portion Jazz stilistisch zwischen Max Richter und Claude Debussy angesiedelt ist, so gut zum Bühnengeschehen passte. Simon Hewett dirigierte die Premiere mit großer Lust und passgenau für die tänzerischen Einsätze.

Etwas weniger erfreulich ist dann das in der Coronazeit entstandene Stück »Blake Works V (The Barre Project)« von Altmeister William Forsythe. Schon die vom Band kommende Musik kann leicht langweilig werden. Elektronische Popsongs wie die von James Blake gehören meiner Ansicht nach in den Auto-CD-Player oder auf die nächste Party, aber nicht stundenlang auf eine große Ballettbühne. Zu eintönig wirkt der simpel wiederholte Rhythmus, und eine digital verzerrt quäkende menschliche Stimme hat akustisch kaum noch Ausdrucksmöglichkeiten.

Ein bisschen Liebeskummer, ein bisschen Angst vor Einsamkeit – bei solchen musikalischen Themen könnte man tänzerisch groß aufdrehen, wenn man nicht William Forsythe wäre. Er hat sein fest umrissenes stilistisches Werkzeug, und davon weicht er nicht ab. Bestimmte Übungen aus dem klassischen Balletttraining hat er überspitzt und in Extreme geführt – und aus diesen Karikaturen auf klassischen Tanz bastelt er seine virtuosen, auf Schnelligkeit und Rasanz abstellenden Stückchen.

So tanzen die Tänzerinnen und Tänzer im Solo, zu zweit und als kleine Gruppe – und zeigen zeitweise an einer Ballettstange im Hintergrund ihre Besessenheit, ihre Körper für den Tanz fit zu halten. Darum heißt das Stück »The Barre Project« (»Das Stangenprojekt«): weil es im Coronalockdown darum ging, zu Hause zu trainieren und diverse Möbel zur Ballettstange umzufunktionieren. Von diesen Anstrengungen sieht man hier aber nichts, obwohl das harte Trainieren an einer Stuhllehne oder einem Regalbrett durchaus putzig anzusehen wäre. Aber Forsythe braucht Platz für seine Sprung- und Drehkombinationen.

Man ist froh, als das auf technischer Spielerei beruhende Stück vorbei ist und sich niemand auf der Bühne verletzt hat. Schnelligkeit um der Schnelligkeit willen mag zwar virtuos sein, hat aber zu wenig Sinn, um wirklich zu erfreuen. Alexandr Trusch, Anna Laudere, Aleix Martínez, Alessandro Frola und Matias Oberlin geben ihr Bestes. Und das ist nicht gerade wenig. Charlotte Larzelere entfaltet dazu mit puristischen Ballettschritten sogar eine frivol-elegante Sexiness, die ihresgleichen sucht. Aber auch das läuft ins Leere – Beziehungen zu choreographieren, ist nicht gerade die Stärke von Forsythe.

So machen die Tänzer zwar auch das zweite Stück des Abends zum Ereignis. Wirklich berührt wird man aber nur vom Titelstück »Slow Burn« – immerhin gleich in mehrfacher Hinsicht.

Nächste Aufführungen: 13., 18., 19.12.

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