Wer ließ räumen?
Von Karim NatourAm Abend des 23. Mai räumte ein Polizeikommando das von palästinasolidarischen Studenten besetzte Sozialwissenschaftliche Institut der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin. Die Aktivisten verließen teils freiwillig in Begleitung von Universitätsmitarbeitern das Gebäude, teils wurden sie von behelmten Polizisten herausgeführt. Am Freitag ist eine Studentin, die an der Besetzung teilnahm, vom Berliner Amtsgericht Tiergarten freigesprochen worden – aus Mangel an Beweisen. Dabei war eine prominente Zeugin geladen: die Hochschulpräsidentin Julia von Blumenthal.
Das Universitätsinstitut war am 22. Mai besetzt worden. Die Aktivisten der Students Coalition Berlin hatten mit ihrer Protestaktion gefordert, dass die HU sich für einen Waffenstillstand in Gaza sowie gegen Waffenlieferungen an Israel positioniere. Von seiten des Hochschulpräsidiums war die Besetzung bis zu einer Frist am 23. Mai »geduldet« worden, um einen Dialog mit den Studenten zu ermöglichen.
Das Präsidium der Universität habe die Landesspitze – also Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) und Bürgermeister Kai Wegner (CDU) – an dem Tag der Räumung um eine Verlängerung gebeten, erklärte die Unipräsidentin von Blumenthal im Gerichtssaal. Die Senatorin habe daraufhin die Frist für die Räumung auf 18.30 Uhr verlängert. Einige Studenten seien freiwillig – in Begleitung von Professoren – aus dem Saal gegangen. Aber alle Teilnehmer mussten im Anschluss zur Feststellung der Personalien zu einem Kontrollpunkt der Polizei, freiwillig und unter Zwang.
Da der angeklagten Studentin nicht nachzuweisen war, dass sie nach Ablauf der Frist im Saal verblieben war, plädierten Staatsanwaltschaft und Verteidigung auf Freispruch. Dem kam die Richterin mit dem Urteilsspruch nach. Die Verteidigung wollte wissen, ob die Hochschulpräsidentin Studenten möglicherweise zugesichert habe, dass man auch nach 19 Uhr noch den Saal verlassen könne. Das verneinte diese zunächst. Als die Verteidigerin Jessica Grimm nachhakte und eine Audioaufnahme erwähnte, ergänzte die Präsidentin, hundertprozentig auszuschließen sei es nicht.
Besonders ein Detail des Ablaufes sorgte für Irritation im Saal. »Auf welcher Grundlage wurde entschieden, die Besetzung zu räumen?« wollte Grimm wissen. Prompt intervenierten sowohl die Vorsitzende Richterin als auch der Zeugenbeistand der Präsidentin. Das sei nicht relevant und müsse nicht beantwortet werden. Unmittelbar nach der Räumung hatte von Blumenthal gegenüber Medien erklärt, die Maßnahme sei von »ganz oben« angeordnet worden, nämlich von Senatorin Czyborra in Übereinstimmung mit Wegner. Diese dementierten das später. Die Verteidigerin blieb hartnäckig, bis die Präsidentin schließlich erklärte, »in einer extremen Stressituation« habe sie »den Eindruck erweckt, dass die Entscheidung vom Bürgermeister« gekommen sei. Tatsächlich habe aber das Präsidium die Räumung beschlossen. Auf Nachfrage, was sie dazu bewogen habe, zunächst etwas anderes zu behaupten, erklärte ihr Büro gegenüber jW am Freitag: »Wir haben den Ausführungen von Frau von Blumenthal vor Gericht nichts hinzuzufügen.«
Die Gerichtsversammlung reihe sich ein »in eine Vielzahl von Vorfällen der letzten Monate«, so die Verteidigerin Grimm in ihrem Schlussplädoyer, bei denen »viele rechtswidrige Maßnahmen« in Deutschland stattgefunden hätten. Dass »friedliche Proteste mit Gewalt beendet werden«, sei eines Rechtsstaats nicht würdig. Was zukünftige Prozesse zu der Besetzung betreffe, gehe sie davon aus, dass es zu einer »Vielzahl von Einstellungen und Freisprüchen kommen« werde, erklärte Grimm nach der Verhandlung gegenüber jW. Auch die Angeklagte ließ es sich nicht nehmen, sich zu dem Vorgang zu äußern: »Ich möchte auf die Mitschuld der HU am andauernden Völkermord in Gaza und die repressive Politik gegenüber den eigenen Studenten verweisen«, erklärte sie vor der Urteilsverkündung. Die HU-Präsidentin war da schon nicht mehr im Saal.
Weniger Glück hatte unterdessen eine Aktivistin, die im Juli 2024 an einer Besetzung an der Freien Universität in Berlin teilgenommen hatte. Am Donnerstag wurde sie vom Amtsgericht Tiergarten wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe verurteilt.
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