Zu zähmende Handlanger
Von Jörg KronauerVersucht man, mit den Augen westlicher Geostrategen auf die aktuelle Lage in Syrien zu blicken, dann ist klar: Eine Chance, wie sie sich dort für die transatlantischen Mächte derzeit bietet, wird sich kaum ein zweites Mal ergeben. Russland und Iran hatten den Westen – mit Hilfe der Türkei, das sollte man nicht vergessen – weitgehend aus dem Land abgedrängt, und dies in einer Zeit, in der es China gelungen war, einen Ausgleich zwischen Iran und Saudi-Arabien zu vermitteln. Damit geriet die US-Dominanz über die Region, die strategisch auch auf der erbitterten Feindschaft zwischen Riad und Teheran basierte, gleich an verschiedenen Stellen ins Wanken. Washington lavierte, konnte kleine Punktgewinne erzielen, etwa, dass Saudi-Arabien bisher immer noch nicht den BRICS beigetreten ist, obwohl es dazu eingeladen wurde. Ein größerer US-Durchbruch aber blieb aus.
Der könnte nun nach dem Kollaps der Regierung von Baschar Al-Assad, mit dem in dieser Form auch im Westen niemand wirklich gerechnet hatte, gelingen. Die Dschihadisten, die Assad gestürzt haben, werfen Russland und Iran schon aus eigenem Antrieb aus dem Land. Und wenn es auch noch gelingen sollte, sie halbwegs zu zähmen und an den Westen zu binden, dann hätten die transatlantischen Mächte auf Syrien wieder ihren Daumen drauf. Zugleich ist Iran nicht nur durch den Verlust seines bisherigen Einflusses auf Syrien, sondern auch durch den Bombenhagel und den Enthauptungskrieg Israels gegen Hisbollah und Hamas so sehr geschwächt, dass sich für Washington vielleicht gar noch die Möglichkeit bietet, Teheran auf die eine oder andere Weise vollständig auszuschalten. Das einzige Sandkorn im Getriebe: Donald Trump ist seit je bestrebt, in Nah- und Mittelost keine Kräfte zu binden, um wirklich alles in den Machtkampf gegen China zu werfen. Womöglich setzt ihm das am Persischen Golf doch noch Grenzen.
Davon unabhängig aber gilt es aus Sicht der westlichen Mächte, zunächst die Dschihadisten in Syrien zu zähmen. Die Repressionsbehörden sowie die Geheimdienste der transatlantischen Welt haben nicht vergessen, dass beispielsweise die Terroranschläge vom 13. November 2015 in Paris in einem syrischen Dschihadistennest ersonnen und wohl auch von dort aus koordiniert wurden. Es stimmt: Hayat Tahrir al Sham (HTS) geht inzwischen anders vor als Al-Qaida, der sie entstammt. Sie war bereits in Idlib mit einer Territorialherrschaft beschenkt worden, die es zu hegen und zu pflegen galt, um die eigene Basis von Grund auf zu stärken. Mit einem anderen Ziel des Dschihadismus, nämlich dem Kampf gegen den gottlosen Westen, lässt sich HTS nun erstmal Zeit. Und Zeit hat sie auch, anders als die im Abstieg wie wild um sich schlagende transatlantische Welt. Ob die in ihrem Kampf gegen Russland und Iran nun in Syrien wirklich einen Sieg und nicht vielleicht doch einen Pyrrhussieg errungen hat, wird sich weisen. Auch daher die Eile, die den Westen in Sachen Syrien gegenwärtig treibt.
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