Hauptzweck des Staates: Die Armee
Was die amerikanische Revolution begonnen, das vollendete die französische, auch auf militärischem Gebiet. Den geübten Werbeheeren der Koalition hatte sie ebenfalls nur schlecht geübte, aber zahlreiche Massen entgegenzustellen, das Aufgebot der ganzen Nation. Mit diesen Massen aber galt es, Paris zu schützen, also ein bestimmtes Gebiet zu decken, und das konnte nicht ohne Sieg in offner Massenschlacht geschehn. Das bloße Schützengefecht reichte nicht aus; es musste eine Form auch für die Massenverwendung gefunden werden, und sie fand sich in der Kolonne. Die Kolonnenstellung erlaubte auch wenig geübten Truppen, sich mit ziemlicher Ordnung zu bewegen und das selbst mit einer größern Marschgeschwindigkeit (hundert Schritt und darüber in der Minute), sie erlaubte, die steifen Formen der alten Linienordnung zu durchbrechen, in jedem, also auch in dem der Linie ungünstigsten Terrain zu fechten, die Truppen in jeder irgendwie angemessenen Art zu gruppieren und, in Verbindung mit dem Gefecht zerstreuter Schützen, die feindlichen Linien aufzuhalten, zu beschäftigen, zu ermatten, bis der Moment gekommen, wo man sie am entscheidenden Punkt der Stellung mit in Reserve gehaltnen Massen durchbrach. Diese neue, auf der Verbindung von Tirailleurs und Kolonnen und auf der Einteilung der Armee in selbständige, aus allen Waffen zusammengesetzte Divisionen oder Armeekorps beruhende, von Napoleon nach ihrer taktischen wie strategischen Seite vollständig ausgebildete Kampfweise war demnach notwendig geworden vor allem durch das veränderte Soldatenmaterial der französischen Revolution. (…)
Das revolutionäre System der Bewaffnung des ganzen Volks wurde bald auf eine Zwangsaushebung (mit Stellvertretung durch Loskauf für die Begüterten) beschränkt und in dieser Form von den meisten großen Staaten des Festlands angenommen. Nur Preußen versuchte in seinem Landwehrsystem die Wehrkraft des Volks in größerm Maß heranzuziehn. Preußen war zudem der erste Staat, der sein ganzes Fußvolk – nachdem der zwischen 1830 und 1860 ausgebildete, kriegsbrauchbare gezogne Vorderlader eine kurze Rolle gespielt – mit der neuesten Waffe versah, dem gezognen Hinterlader. Beiden Einrichtungen verdankte es seine Erfolge von 1866. Im Deutsch-Französischen Krieg traten zuerst zwei Heere einander gegenüber, die beide gezogne Hinterlader führten, und zwar beide mit wesentlich denselben taktischen Formationen wie zur Zeit des alten glattläufigen Steinschloßgewehrs. (…)
Mit dem Deutsch-Französischen Krieg ist ein Wendepunkt eingetreten von ganz andrer Bedeutung als alle frühern. Erstens sind die Waffen so vervollkommnet, dass ein neuer Fortschritt von irgendwelchem umwälzenden Einfluss nicht mehr möglich ist. Wenn man Kanonen hat, mit denen man ein Bataillon treffen kann, soweit das Auge es unterscheidet, und Gewehre, die für einen einzelnen Mann als Zielpunkt dasselbe leisten und bei denen das Laden weniger Zeit raubt als das Zielen, so sind alle weitern Fortschritte für den Feldkrieg mehr oder weniger gleichgültig. Die Ära der Entwicklung ist nach dieser Seite hin also im wesentlichen abgeschlossen. Zweitens aber hat dieser Krieg alle kontinentalen Großstaaten gezwungen, das verschärfte preußische Landwehrsystem bei sich einzuführen, und damit eine Militärlast, bei der sie in wenigen Jahren zugrunde gehn müssen. Die Armee ist Hauptzweck des Staats, ist Selbstzweck geworden; die Völker sind nur noch dazu da, die Soldaten zu liefern und zu ernähren. Der Militarismus beherrscht und verschlingt Europa. Aber dieser Militarismus trägt auch den Keim seines eignen Untergangs in sich. Die Konkurrenz der einzelnen Staaten untereinander zwingt sie einerseits, jedes Jahr mehr Geld auf Armee, Flotte, Geschütze etc. zu verwenden, also den finanziellen Zusammenbruch mehr und mehr zu beschleunigen; andrerseits mit der allgemeinen Dienstpflicht mehr und mehr Ernst, und damit schließlich das ganze Volk mit dem Waffengebrauch vertraut zu machen; es also zu befähigen, in einem gewissen Moment seinen Willen gegenüber der kommandierenden Militärherrlichkeit durchzusetzen. Und dieser Moment tritt ein, sobald die Masse des Volks – ländliche und städtische Arbeiter und Bauern – einen Willen hat. Auf diesem Punkt schlägt das Fürstenheer um in ein Volksheer; die Maschine versagt den Dienst, der Militarismus geht unter an der Dialektik seiner eignen Entwicklung. Was die bürgerliche Demokratie von 1848 nicht fertigbringen konnte, eben weil sie bürgerlich war und nicht proletarisch, nämlich den arbeitenden Massen einen Willen geben, dessen Inhalt ihrer Klassenlage entspricht – das wird der Sozialismus unfehlbar erwirken. Und das bedeutet die Sprengung des Militarismus und mit ihm aller stehenden Armeen von innen heraus.
Friedrich Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft. Dritte Auflage, Stuttgart 1894. Hier zitiert nach: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke (MEW), Band 20. Dietz-Verlag, Berlin1973, Seiten 156–159
Solidarität jetzt!
Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.
Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!
Mehr aus: Wochenendbeilage
-
Ucha
vom 14.12.2024 -
Kreuzworträtsel
vom 14.12.2024 -
»Milei geht es darum, die sozialen Kräfteverhältnisse zu verändern«
vom 14.12.2024 -
Sorgenlos lebendig
vom 14.12.2024 -
Wächter des Waldes
vom 14.12.2024 -
Das Gefühl der Befreiung
vom 14.12.2024