Gegründet 1947 Donnerstag, 16. Januar 2025, Nr. 13
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 13.12.2024, Seite 11 / Feuilleton
Rock

Angst vorm Maskenmann?

Grob gewirkt, aber wirkungsvoll: Slipknot spielten in Leipzig
Von Ken Merten
11.jpg
Leipzig is overall: Corey Taylor von Slipknot in Columbus, Ohio, am 19. Mai 2024

Angst. Es gab Zeiten, da fürchtete man sich vor den gruseligen Maskenmännern. Da hatte man vielleicht gerade gelernt, dass das Video der Backstreet Boys zu »Everybody« doch gar nicht so ein Schocker ist. Die Angst vor Slipknot wich der Belustigung: Haha, Overalls, haha, Hinterwäldlergedresche, haha, Schlüpferknoten. Nur weil man von der einen Seite des Pferdes fällt, heißt es nicht, dass man nicht auch noch mal von der anderen Seite runterfallen kann. Vielleicht erreichen Menschen wirklich nur deshalb ein Alter von über 30 Jahren, um die Band aus Des Moines (Iowa) ansatzweise zu verstehen.

Um Verständnis gebeten haben Slipknot vor einem Vierteljahrhundert nicht, als sie mit »Slipknot« ihr erstes Album herausbrachten. Na ja, zugegeben, vorher musste Anders Colsefni seinen Platz am Mikro räumen, Corey Taylor hatte doch weit mehr Talent. Was nicht heißt, dass das Self-Titled-Album besonders radiotauglich geriet. Derweil sich der Nu Metal ausprägte, die Deftones Drogenaffinität vertonten und die Pforten der Wahrnehmung mit progressiv-psychedelischer Schwelgerei einschmissen und man bei MTV wohl niemand erst davon überzeugen musste, dass sie Korn zu spielen haben, hämmerten die neunköpfigen Slipknot drauf los: Vom Death Metal genommene Blastbeats wurden mit Percussions zu jenen Klangwänden ausgebaut, auf die Taylor per Double- und Tripletime guttural seinen Rap spittete, oder mit Spoken Word vermittelte, wie dreckig das Leben sei. All das wirkt grob, ist aber gelungen sortiert. Wenn man so will, ist das umgestülpter Black Metal: Um die Welt zu verfluchen, braucht es kein pseudointellektuelles Gehabe, die entsprechende Technik, damit rüberkommt, was man mit den Gitarren zu sagen hat, allerdings schon.

Am Montag in Leipzig meinte man es mit der Tontechnik etwas zu gut: Mein Begleiter verschwindet gegen Ende des Sets vom schottischen Support Bleed From Within und holt sich Ohrstöpsel. Die hatte ich schon drin, das akustisch zermatschte Konzert von While She Sleeps Anfang November war mir eine Lehre; man wird ja nicht jünger. Sah man auch am Publikum: Nachvollziehbar hatten unter den Besucherinnen und Besuchern der ­Anniversary Tour manche schütteres Haar, einige waren mit Nachwuchs gekommen. Viele waren aber gar nicht da: Die Halle war bei weitem nicht ausverkauft. Mag an den Preisen liegen oder der Tatsache, dass man sich im Dezember lieber mit Glühwein und Senf das Gesicht verkleistert. Die nette, aber dann doch nicht ganz zum Ambiente passende Metalcore-Kapelle als Vorband hat sicher auch nicht dazu beigetragen, dass sich die eine oder der andere vom Sofa hochbequemt hat.

Manchen sah man auch an, dass für sie die Umbaupause unangenehm lang geriet, ehe Gary Wright mit seinem Evergreen »Dream Weaver« anzeigte, dass The Nine nun bereit seien, loszubrettern. Dann aber verstummte alle berechtigte wie unberechtigte Nörgelei über 45 Euro teure Tourshirts und die Tatsache, dass es in der am hässlichsten benamten Halle der Welt (»Quarterback Immobilien Arena«) seit einer Weile kein Herrenklo mehr gibt, sondern eine All-Gender-Toilette.

Es ist eben nicht alles im Jahr 1999 verblieben. Die Musik aber war es: Taylor raubte allen, die auf Zugaben neuerer Songs setzten, die Hoffnung. Es wird nichts gespielt, das jünger sei als 25 Jahre, machte er klar. Na ja, wie gesagt, man wird nicht jünger: Ihm geht bei »Get This« (»Get this or die!«) etwas die Puste aus, aber es passt ja auch irgendwie dazu. Dafür knallt die Nationalhymne des US-Imperialismus »Liberate« (»Liberate my madness!«) wie eh und je. Und man kann es ja wirklich dem Clown und Konsorten nicht verübeln, dass sie nicht mehr auf der Bühne rumspringen, als wäre für immer Ozzfest ’99. Die für Slipknot-Verhältnisse spartanische Show (keine Mülltonnen auf Hebebühnen, kein Drumkit, das sich vertikal in der Luft dreht) passt schließlich auch dazu, dass man sich in simplere Zeiten zurückversetzt fühlen soll. Trotzdem hätten die Drumsoli des neuen Schießbudenregisseurs Eloy Casagrande (Ex-Sepultura) länger sein können; man will ihn schließlich kennenlernen.

Entsprechend früh war dann Schluss. In der Tram wurde die Beschwerde mit dem Hinweis versehen, man würde trotzdem wiederkommen, sollte in zwei Jahren das 25jährige Jubiläum des nicht minder ruppigen Zweitlings »Iowa« begangen werden. Die Geschichte ist stets präsent.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Regio:

Mehr aus: Feuilleton

Alle redaktionellen Beiträge zur RLK25 sind nun hier verfügbar