Gegründet 1947 Freitag, 17. Januar 2025, Nr. 14
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 17.12.2024, Seite 11 / Feuilleton
Landlust

Ausflug

Von Jürgen Roth
Henscheids_Panda2_Foto_Wilhelm_Koch.jpeg
Regina und Eckhard Henscheids sechsunddreißig Jahre alter Fiat Panda ist ein Schrotthaufen auf Rädern und zugleich eine Naturerscheinung

Die Regionalzeitung ist die unterste, kacheldümmste, schändlichste Gattung des Schrifttums, und weil ich mich mit den Nürnberger Nachrichten, dem allerniedersten, -schlampigsten und -unfähigsten Erzeugnis aus dem Höllenkreis dieser Blätter, herumschlage, einem Organ, das sich die unausgesetzte Mehrung der »intellektuellen Schmutzflut« (Karl Kraus) auf die ausgefransten Fahnen geschrieben hat, greife ich morgens des öfteren zu meiner »guten protestantischen Hausaxt« (Karl Kraus) und zerlege zumal die Kommentare der beiden Meinungshauptbademeister, deren Namen ich verschweigen muss. Diese zwei Titanen kriegen keinen einzigen Satz auf die Kordel und reihen Stuss über Stuss und Nullität über Nullität aneinander: »Ein aussichtsreicher Weg sollte zurück auf den Tisch«, »Die Klausur im brandenburgischen Nauen wird kein Zuckerschlecken«, »der ein (sic!) oder andere Anwohner«, »Mitte Oktober, das ist alle Jahre wieder die Zeit der Nobelpreise« et cetera ad infinitum.

Am dollsten trieben sie es vor ein paar Monaten. Ich fischte die Zeitung um halb sieben aus dem Kasten am Hoftor und befand mich stante pede in einem Zustand heller Begeisterung. Diese phantastischen sogenannten Journalisten hatten die gesamte (die gesamte!) Titelseite an ein Möbelhaus verkloppt, das mit einer Annonce an die Adresse von Küchentestern in spe warb: ein Höhepunkt der Presseinnovation, wahrscheinlich eine Singularität der Zeitungsgeschichte – und eine betörende, ja die allertotalste Bankrotterklärung des Berufsstandes. Man muss die Genies von der Pegnitz mit tausend Preisen behängen.

In der Kulturwüstenei Mittelfranken halten sich – keine Ahnung, wie die das fertigbringen – drei feine, hoch zu achtende Buchverlage: Starfruit Publications, Ars Vivendi und selbstverständlich die »Original Hersbrucker-Bücherwerkstätte«. Dass siebzig Kilometer östlich, in der feindlichen Oberpfalz, ein weiteres Kleinod des Wortes beheimatet ist, daran erinnerte mich kürzlich meine Mutter.

Sie reichte mir einen Artikel aus den NN, die ich aus psychohygienischen Erwägungen phasenweise meide, und sagte: »So wos! Da hat dein Freund Henscheid ein Buch über sein Auto g’schrieben. Des is’ doch a Schmarr’n!«

Es ist einer, ein wunderbarer, und es ist das schönste und lustigste Buch des Jahres. Der Bildhauer und Designer Wilhelm Koch, der das Luftmuseum in Amberg konzipiert hat und betreibt und 2021 in Etsdorf die grandiose Skulptur »Reiterstandbild Angela Merkel« aufbäumte, die dann 2023 aus irgendwelchen hegelianisch welthistorischen Gründen zusammenbrach, hat »Henscheids Panda«, einen handfesten Pappbildband in einer limitierten und signierten Auflage von hundert Exemplaren, herausgegeben und die fabelhaften Detailphotographien von diesem abenteuerlichen Gefährt angefertigt (Büro-Wilhelm-Verlag, 55 Euro).

Regina und Eckhard Henscheids sechsunddreißig Jahre alter Fiat Panda ist ein Schrotthaufen auf Rädern und zugleich eine Naturerscheinung. Moosflechten zieren seine Flanken, die Felgen hält der Rost zusammen, der Staub hat sich in den mit Kratzspuren geschmückten Lack gegraben, die Innenausstattung bringt es auf einen Marktwert von 0,90 Euro, und jüngst – ein numinoser Fingerzeig – hat er noch mal zwei Jahre TÜV gekriegt.

Die Henscheids widmen ihrem treuen Begleiter, den Symbolismus meilenweit ins Abseits verweisend, makellose Dinglyrik: »Rilke dichtete bekanntlich über den Panther: / ›Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe so müd geworden …‹ / Und wer packt endlich den Panda? / ›Sein Anblick ist wie Glück im Vorübergehn der Besitzer …‹ / Usw. So könnt’s gehen.« Oder: »Wie glänzest Du in der Sonne – / Ach was, / Das stimmt ja nicht. / Du glänzest nur im Regen / So rot und so verwegen – / Bei Sonne grade nicht. (…) Du trotzt den schrecklichsten Gefahren, / Ja selbst der Polizei; / Wenn wir mal Schlangen fahren – / Was ist denn schon dabei?« Oder: »Mit 34 PS: Fast achtzig km/h Tempo-Spitze. / Jedenfalls den Berg hinunter. / Raufwärts ist er auch recht / Munter.«

Henscheid hat mich im Amberger Panda-750-L mal zu seinem Garten in Raigering kutschiert, dabei erreichte er, ungeachtet der topographischen Besonderheiten, im Optimalfall approximativ vierzig Sachen. Nun wollte ich zur Buchvorstellung im Luftmuseum und rief meinen Anarchofreund Udo R. an, den Schwager vom Egersdörfer – ob er einen Ausflug machen möge, ob er mich mit seiner Luxusmühle abholen könne, meinen BMW hätte ich ja leider aus Dummheit verscherbelt.

»Jürgen, logisch! Spitze! Im Prinzip! Aber ausg’rechnet morgen muss ich mit der Frau was veranstalten, des ham mer vor vier Wochen ausg’macht. Und wenn ich des absag’, brennt hier ein halbes Jahr lang der Dachstuhl. Kennst ja die Weiber!«

So fiel das Unternehmen Amberg ins Löschwasser. Doch Udo hat Wiedergutmachung gelobt. Der soll sich bloß ranhalten, sonst qualmt’s.

»Henscheids Panda«. Herausgegeben und mit Fotos von Wilhelm Koch, mit Texten von Regina Henscheid und Eckhard Henscheid. Koch-Studio-Edition, 2. Auflage Exemplare 101–125, Büro-Wilhelm-Verlag, Etsdorf (Freudenberg) 2024, 28 Seiten, 55 Euro zzgl. Verpackung und Versandkosten 5 Euro, Bestellung: mail@koch-studio.com

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (16. Dezember 2024 um 23:18 Uhr)
    Iich denk, dassi leiber an fuchzger fier die nexte RL-Konferenz spend.

Mehr aus: Feuilleton

Alle redaktionellen Beiträge zur RLK25 sind nun hier verfügbar