Die Tanne muss brennen
Von Michael MerzEs gibt Legenden in der Liturgie des Hard ’n’ Heavy, die sind schon so oft erzählt worden, dass sie längst keiner mehr hören will. Doch dann schnüffelt Frank Schäfer an einer Reliquie, einem nach Rauch stinkendem Gitarrenkoffer, der seinen letzten Einsatz Anfang der 70er in einem Casino am Genfer See hatte. Und plötzlich wird alles ganz plastisch, die olle Kamelle erwacht in neuer Pracht. Kollege Schäfer erlebt eben die Geschichten, die er erzählt. Die eine mehr, die andere weniger. Er weiß, wovon er spricht, wenn er Rockhistorie mit seiner eigenen verwebt. Und das lässt sich überaus amüsant an, seien es die großen Musikerkarrieren oder die kleinen Gigs in der mindestens zwei Töne tiefer gestimmten Ebene des norddeutschen Flachlands.
Es soll ja Menschen geben, die rümpfen beim Gedanken an Heavy Metal immer noch angewidert die Nase. Prollig, abstoßend – das ist doch nur Krach, keine Musik, da sind sie unerschütterlich. Und widmen sich wieder ihrem Adult-Contemporary-Gedudel. Sollen sie doch. Sie haben eben keinen blassen Schimmer, wie allumfassend das Leben und Leiden der durchaus sehr diversen Community der Metalfans eigentlich ist. Und haben was verpasst. Die Szene ausführlich auszudefinieren, gibt Schäfer glücklicherweise nach dem ersten Kapitel, in dem es um den Ursprung des Begriffs Headbanger geht, gleich wieder auf. Es sind kenntnisreiche, aber keine klugscheißerische Schlaglichter, die er wirft. Mal mit Schmackes, dann wieder mit nachdenklich leisen Tönen, aber immer mit Wonne und Witz. Mit Liebe zum Detail dargebrachte Kurzgeschichten, wie sie von den Jüngern des Genres erlebt und erlitten werden, egal ob in Braunschweig oder Berlin oder Bombay. Letztlich ergeben sie zusammen das große Bild eines verschworenen Haufens und dessen Verehrung für Marshall Amps, Geradlinigkeit und jede Menge Bier.
Und mittendrin der Schäfer, der seiner Herde stets wohlwollenden Blicks zugeneigt ist und manchmal erbarmungslos die Hammelbeine langzieht. Im Finden eines Begriffs für etwas, was in seiner Skurrilität treffend beschrieben werden will, ist er der Hexenmeister. Sei es die »chemische Passionsgeschichte« des Ozzy Osbourne oder der schlechte Gitarrist, dessen Soli »meist dem Fade Out zum Opfer fallen«. Wer eine chronologische Aufzählung der besten Schmonzetten erwartet, ist hier verkehrt. Der Autor springt munter zwischen dem »Steckrübenwinter 83/84«, als Metal in der westdeutschen Provinz so exotisch wie aufrührerisch daherkam und man die Proberäume mit Praline-Pin-ups tapezieren musste, weil es nicht genug Bandposter gab, und der Zeit während Coronapandemie, in der die FFP2-Maske beim Headbangen stilsicher mit Gaffa Tape ins Gesicht zementiert wurde.
Das Genre literarisch anzugehen ist schon in vielfältiger Ausprägung passiert, vom Motörhead-Comic, der auch hier besprochen wird, bis hin zum skandalösen Exzess in Serie in »The Dirt«, der Mötley-Crüe-Bio, der hier im Titel anklingt. Schäfers Geschichten sind nicht auf Biegen und Brechen spektakulär. Wie er sie erzählt, das ist das Besondere. Und wie er das Große im Kleinen findet. Seine Ausflüge in die Moshpits und Backstageareale sind das eine. Aber Metal ist eben mehr als nur die Heilige Messe bei 120 Dezibel, das Leben spielt halt auch am Krankenbett oder im Fußballstadion.
Und was hat es mit dem von Schäfer inspizierten, smoky Gitarrenkoffer auf sich? Tja, der hat mal seinem Namensvetter Zappa gehört. Kleiner Tipp: Es geht um ein in allen Musikgeschäften verbotenes Riff. Wer jetzt nicht draufkommt, sollte unterm Weihnachtsbaum mal nachblättern. Auf dass die Tanne abfackelt! Die, die die härtere Gangart lieben und sie mit ausgetüftelter Sprachakrobatik tight in Buchform gegossen erleben wollen, sollten sich dieses Büchlein sowieso zu Gemüte führen.
Frank Schäfer: Nötes of a Dirty Old Fan. Metal Stories. Satyr-Verlag, Berlin 2024, 176 Seiten, 16 Euro
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