»Es ist eine virtuelle Hetzjagd«
Interview: Jamal IqrithSie arbeiten als Referentin im SPD-geführten Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Vergangene Woche erschien in der Bild ein Artikel, in dem Ihnen »Israel-Hass« unterstellt wird. Worauf stützen sich die Vorwürfe?
Mir wird vorgeworfen, dass ich »Israel-Hasserin« der übelsten Art und Antisemitin sei. Die Bild-Zeitung stützt sich dazu auf Beiträge auf meinem persönlichen Konto bei X – dem Ort, an dem diese virtuellen Hetzjagden stattfinden. Meiner Meinung nach findet im Gazastreifen aktuell ein Völkermord statt. Was dort geschieht, verstößt gegen internationales Recht. In den ersten Tagen nach dem 7. Oktober – nach den genozidalen Äußerungen und Handlungen israelischer Regierungsvertreter und Militärs – war mir klar, dass es dazu kommen würde. Ich habe mich schon länger mit dem Thema befasst und dazu Beiträge geteilt. Meine Konten waren aber bisher nicht öffentlich. Die letzten paar Monate haben dazu geführt, dass ich entschieden habe, dass ich das nicht mehr hinnehmen kann: einfach nur an der Seite zu stehen. Deswegen habe ich mich für eine politisch aktive Rolle bei der Partei MERA 25 entschieden. Ich kandidiere jetzt für den Bundestag.
Warum äußern Sie sich als Referentin im Arbeitsministerium überhaupt zu Israel und Palästina?
Ich muss nicht im Auswärtigen Amt arbeiten, um zu dem Thema in meinem Privatleben eine Meinung zu haben und diese auch äußern zu dürfen. Ich kann nicht akzeptieren, dass Waffenlieferungen nach Israel weiter genehmigt werden, dass deutsche Unternehmen von dem Völkermord profitieren – und dass das in meinem Namen passiert.
Hat man Ihnen vor der Veröffentlichung des Artikels die Möglichkeit gegeben, Stellung zu nehmen?
Nein, ich wurde nicht kontaktiert. Weder von der Bild-Zeitung noch von meinem Ministerium, das sich augenscheinlich zu den Vorwürfen geäußert hat.
Arbeitsminister Hubertus Heil, Ihr Chef, sei entsetzt und schockiert, ist dem Artikel zu entnehmen. Das Ministerium prüfe »dienstrechtliche« Konsequenzen, heißt es. Was droht Ihnen?
Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil ich davon nicht unterrichtet wurde.
Von außen wirkt es oft so, als habe die große Mehrzahl der Beamten in Ministerien kein Problem mit dem Krieg im Gazastreifen, die Politik der Regierung wird einfach mitgetragen. Täuscht dieser Eindruck?
Ich kann nicht für die Gesamtheit der Beamten sprechen. Es gibt aber eine Reihe von Kollegen, die damit durchaus ihre Probleme haben. Es gab im Frühjahr einen offenen Brief von 600 Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Die Strukturen in den Ministerien sind hierarchisch und man kann nicht ohne weiteres seine Bedenken äußern.
Was passiert denn, wenn man seine Bedenken äußert?
Na ja, man kann sich nur an seinen nächsten Vorgesetzten wenden. Man kann nicht einfach eine E-Mail an den Bundesminister schreiben. Das ist dienstrechtlich nicht erlaubt.
Ihnen wird auch angekreidet, dass sie den »Auslöser des Konflikts« bei Ihren Beiträgen nicht erwähnen – also die Angriffe der Hamas in Südisrael am 7. Oktober 2023. Was würden Sie darauf antworten?
Ich beschreibe in meinen Beiträgen die aktuelle Lage. Ich sehe keine Veranlassung, in jedem Post auf den 7. Oktober einzugehen. Außerdem hat die Geschichte der Gewalt nicht mit diesem Datum angefangen. Und natürlich sind am 7. Oktober Kriegsverbrechen geschehen – wie sie seitdem jeden Tag in Gaza stattfinden. Es ist bezeichnend, dass über den Inhalt meiner Beiträge gar nicht gesprochen wird. Was soll an meinen Aussagen denn antisemitisch sein? Ich habe mich mein ganzes Leben lang gegen Antisemitismus und Rassismus eingesetzt und tue das immer noch. Es handelt sich meiner Ansicht nach um Völkermord, und Israel ist ein Apartheidregime. Ich meine, das kundtun zu dürfen. Aus der Vergangenheit haben wir gelernt, dass wir selbst in der Verantwortung stehen. Als Bundesbeamtin gilt meine Treue der Verfassung und nicht politischen Parteien.
Worauf wollen Sie hinaus?
In Artikel eins und zwei des Grundgesetzes steht, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und dass sämtliches Leben zu schützen ist. In Artikel 25 steht, dass Völkerrecht und internationales Recht den Bundesgesetzen gegenüber vorrangig ist. Und daran halte ich mich.
Jamal Iqrith
Melanie Schweizer ist Referentin im Arbeits- und Sozialministerium und kandidiert für MERA 25 für den Bundestag
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