Gegründet 1947 Freitag, 17. Januar 2025, Nr. 14
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 17.12.2024, Seite 4 / Inland
Abschied vom Asylrecht

Tödliche BAMF-Bürokratie

Berlin: Kurdischer Geflüchteter stirbt in Psychiatrie. Angehörige verlangen Aufklärung
Von Katharina Schoenes
Demo_Klare_Kante_geg_83691258.jpg
Kundgebung in Ulm (5.10.2024)

Trotz der winterlichen Kälte haben sich am frühen Sonntag nachmittag auf dem Berliner Hermannplatz rund 100 Menschen versammelt. Behandschuhte Finger halten ein Transparent mit der Aufschrift »Bürokratie tötet, Menschlichkeit rettet«. Die Demonstration, die später unter kämpferischen Rufen zum Denkmal für die Opfer von Rassismus und Polizeigewalt am Oranienplatz zog, stand unter dem Motto »Solidarität mit allen Geflüchteten«. Anlass war der Tod des jungen Kurden Fethullah Aslan. Er starb am 25. November mit nur 28 Jahren in der psychiatrischen Abteilung eines Berliner Krankenhauses. Wenige Tage zuvor hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seinen Asylantrag abgelehnt. Vorläufig gehen die Behörden davon aus, dass Aslan sich selbst getötet hat. Menschen in seinem Umfeld haben daran jedoch Zweifel.

Aslan wuchs in Nusaybin in der von arabischen, von syrisch-christlichen und mehrheitlich von kurdischen Bevölkerungsgruppen bewohnten Provinz Mardin im Süden der Türkei auf. Als Kurde und als politisch aktiver Mensch geriet er wiederholt in den Fokus der Polizei und Justiz. Während seines Militärdienstes wurde er als vermeintliches Mitglied der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) inhaftiert und misshandelt. Als er sich 2019 an Protesten gegen die Absetzung von Bürgermeistern der linken, prokurdischen Partei HDP in mehreren kurdischen Städten durch die türkische Regierung beteiligte, wurde er erneut inhaftiert und gefoltert. Im Juli 2023 erfuhr Aslan von einem weiteren Ermittlungsverfahren gegen ihn – und entschied sich zur Flucht. Über Serbien flüchtete er nach Berlin und beantragte Asyl.

Man könnte meinen, dass es für jemanden mit der Vorgeschichte von Aslan ein Leichtes ist, in der BRD als Flüchtling anerkannt zu werden. Doch die Asylbehörde glaubte ihm nicht. Sie bemängelte etwa, dass Aslan nur Kopien der Gerichtsakten vorlegen konnte und nicht die Originale. Es sei nicht erkennbar, dass die Maßnahmen gegen ihn über eine gewöhnliche Strafverfolgung ohne politischen Bezug hinausgingen; eine Furcht vor politischer Verfolgung habe er nicht glaubhaft vermittelt. Diese Bewertung entspricht der restriktiver werdenden Asylpraxis. Obwohl der Verfolgungsdruck in der Türkei steigt, lehnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die große Mehrheit der Asylanträge von Geflüchteten aus dem Land ab. Besonders niedrig ist die Schutzquote bei Kurdinnen und Kurden.

Aslan erhielt nicht die Chance, gegen die Ablehnung zu klagen. Der Bescheid erreichte ihn erst, als die Frist dazu bereits abgelaufen war. Er war kurz zuvor in eine neue Flüchtlingsunterkunft umgezogen und hatte dem BAMF nicht rechtzeitig seine neue Anschrift mitgeteilt. Sein Anwalt vermutet, Aslan dachte, er müsse sich dafür erst ummelden. Am 18. November stellte er beim BAMF einen Asylfolgeantrag. Am 21. November sprach er erneut vor und erfuhr, dass auch sein zweites Schutzgesuch abgelehnt wurde. Als er darüber hinaus aufgefordert wurde, ein Dokument zur »freiwilligen Ausreise« zu unterschreiben, brach er zusammen. Das BAMF verständigte die Polizei, die Aslan fesselte und in eine nahegelegene Notaufnahme brachte. Dort wurde er mit Medikamenten ruhiggestellt und in die Psychiatrie verlegt, in der er vier Tage später starb. Er soll sich mit einer Tüte erstickt haben.

Diese Darstellung bezweifelt unter anderem der Onkel von Fethullah Aslan, der auch auf der Demo am Sonntag sprach. Gegenüber der kurdischen Nachrichtenagentur ANF betonte er, dass sein Neffe im Krankenhaus rund um die Uhr überwacht wurde. Wie sei es da möglich, sich selbst zu töten? Auch für die Demonstranten ist klar: Der deutsche Staat ist für den Tod von Aslan verantwortlich, mindestens durch strukturell versagte Unterstützung.

Solidarität jetzt!

Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.

In unseren Augen ist das Urteil eine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit in der Bundesrepublik. Aber auch umgekehrt wird Bürgerinnen und Bürgern erschwert, sich aus verschiedenen Quellen frei zu informieren.

Genau das aber ist unser Ziel: Aufklärung mit gut gemachtem Journalismus. Sie können das unterstützen. Darum: junge Welt abonnieren für die Pressefreiheit!

Ähnliche:

Alle redaktionellen Beiträge zur RLK25 sind nun hier verfügbar