Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
Aus: Ausgabe vom 21.12.2024, Seite 10 / Feuilleton
Rosa-Luxemburg-Konferenz

Der Sound der Moderne

Das Hannes-Zerbe-Jazz-Orchester Berlin spielt auf der 30. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin
Von Gisela Sonnenburg
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Er weiß, was er tut: Hannes Zerbe leitet sein Orchester

Wenn Hannes Zerbe, Berliner Großmeister des Jazz, loslegt, darf man sich freuen. Denn Zerbe weiß, was er tut. Am 11. Januar 2025 wird er auf der von der jungen Welt zum 30. Mal ausgerichteten Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz (RLK) dabei sein. Und mit dem 18köpfigen Hannes-Zerbe-Jazz-Orchester Berlin sowie mit der Schauspielerin Heide Bartholomäus eine bedeutende Eigenkomposition darbieten. Zerbes »Projekt Industriekultur« ist eine Hommage an die Moderne und spiegelt die Technikbegeisterung des frühen 20. Jahrhunderts mit musikalischen Möglichkeiten.

Ein ästhetisch an Hanns Eisler und Arthur Honegger erinnernder Maschinenklang entsteht, im Rhythmus des Herzschlags: Es schrammelt und rammelt, es rüttelt und schüttelt, es knattert und rattert, trottet und trötet, scheppert und schellt. Plötzlich sprudelt aus dem Getöse eine Melodie. Trommeln unterlegen, Gebimmel begleitet sie. Man wähnt sich in einem Orkan aus Klangmustern, der sich allerdings der Schönheit des Augenblicks willig unterordnet. Das ist der Sound der Moderne, ohne kitschigen Kitt, ohne gewollte Sprödigkeit. Man hört es gern.

Tatsächlich kam die Inspiration nicht allein von Eisler, sondern vor allem von dem sowjetischen Komponisten Alexander Mossolow (1900–1973). Dessen »Sawod« – was übersetzt schlicht »Fabrik« heißt, aber im Westen unter dem deutschen Titel »Die Eisengießerei« bekannt wurde – ist in gewisser Weise das Vorbild für Zerbes Meisterwerk. Es handelt sich um ein klangliches Denkmal für die erste, ursprüngliche Avantgarde vor 1930. Atonalität und Provokation umarmen sich – und finden vereint mit klassischer Harmonie zur schrägen Lieblichkeit des Jazz.

Das Orchester ist originell besetzt. Es umfasst außer Piano, Schlagzeug, Xylophon und Flöte auch ungewöhnliche Arten von Bläsern: neben der Klarinette die Bassklarinette, zudem das Flügelhorn, Frenchhorn, je ein Tenor-, Alt- und Baritonsaxophon, dazu diverse Trompeten, Posaune, sogar das Sousaphon (eine Art Tuba), eine Gitarre, ein Kontrabass. Manche Musiker wechseln während des Auftritts das Instrument. Ja, hier ist was los.

Zu Beginn werden zwei Musiker sich spielenderweise den Weg durch den Publikumssaal auf die Bühne zum restlichen Orchester bahnen. Für den Komponisten Zerbe, hier auch als Dirigent und Pianist agierend, ist es wichtig, dass die Atmosphäre nicht steif, nicht verhalten ist. Publikum und Raum sollen erfasst werden von der alarmierenden Stimmung des Werks.

Provokation! Sie steckt quasi in jeder Sekunde des »Projekts Industriekultur«. Es geht nicht um die Befriedung mittels kulturellen Konsumterrors, nicht um Kunst »im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit« (Walter Benjamin). Es geht um den Aufbruch in eine Zeit, die Hoffnung birgt. Die »permanente Revolution« findet sich solchermaßen transzendiert – die Musik übernimmt das Ruder, treibt stetig voran, unerlässlich und beinahe gnadenlos.

So wird aus dem euphorischen Gedicht über die New Yorker »Brooklyn Bridge« (1925) des sowjetischen Dichters Wladimir Majakowski (1893–1930) zitiert. Aber auch ein Auszug aus dem 1909 erstmals in Le Figaro erschienenen »Manifest des Futurismus« des späteren Faschisten Filippo ­Tommaso ­Marinetti (1876–1944) ist zu hören. Die aus Film und Fernsehen bekannte Stimme von Heide Bartholomäus proklamiert mit viel Energie im Unterton diese provokante Literatur, die Hannes Zerbe in den musikalischen Fluss eingearbeitet hat.

Majakowski war ein Weltbürger, er pendelte zwischen verschiedenen Gesellschaften. Heißblütig und früh begeistert von den marxistischen Zielen, verfasste er Verse von verblüffender Modernität. Aufrütteln und alle Kräfte einer Gesellschaft bündeln – das waren seine Absichten. Als er seinem Leben im Alter von 36 Jahren mit einem Pistolenschuss ins Herz ein Ende setzte, war er bitter enttäuscht von den Menschen. Hatte er sie überschätzt? Sein Lebensgefühl jedoch gibt heute noch Kraft für die Zukunft.

Der Italiener Marinetti wiederum war so sehr begeistert von seinen technischen Vorstellungen einer glücksverheißenden Zukunft, dass er damit eine Option zur Loslösung von heuchlerischer Bürgerlichkeit verband. Bei ihm glänzt und blitzt die künftige Welt strotzend vor Freude in Eisen und Stahl. Marinettis Technikgläubigkeit entsprach dem Zeitgeist: Fortschritt wurde vorrangig in Maschinen jedweder Art sowie im Geschwindigkeitsrausch erkannt. Im Kontext der Industriekultur wirkt vor allem sein Bedürfnis nach fortschreitender Industrialisierung.

Und so wirft Hannes Zerbe die Leinen des Jazz aus, um eine prägnante kulturelle Epoche an Land zu ziehen, mit ihr zu spielen. Zerbe verspricht uns »viele verschiedene Charaktere im Orchester«, bis zum famos-eleganten Schlussakkord. Rund 35 Minuten wird sie dauern, die Aufführung. Danach geht es weiter mit Livemusik von Zerbe und Gefährten. Das jazzt!

»Projekt Industriekultur«, Hannes Zerbe und das Hannes-Zerbe-Jazz-Orchester Berlin, 30. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz, 11. Januar 2025, Berlin. Bitte beachten: Das Konzert beginnt bereits um 10.30 Uhr, Vorträge ab 11 Uhr

Tickets unter jungewelt-shop.de (Normalpreis: 39 Euro, Sozialpreis: 24 Euro, Solipreis: 59 Euro)

jungewelt.de/rlk

Hannes Zerbe gestaltet jeden ersten Dienstag im Monat die Veranstaltungsreihe »jW geht Jazz« in der Berliner jW-Maigalerie

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