»Durch die Blockade können wir nicht alle Kinder behandeln«
Von Annuschka Eckhardt und David Maiwald, CárdenasWie wirkt sich die US-Blockade auf Ihre Arbeit und auf die Behandlung von Menschen mit Behinderung in Kuba allgemein aus?
Die Blockade wirkt sehr stark, besonders, seit die Trump-Regierung Kuba im Jahr 2019 auf die Liste der »Terrorunterstützer« gesetzt hat. Stromsperren und häufige Stromausfälle behindern Hirnstrommessungen und andere Tests, die wir eigentlich täglich durchführen müssten. Wir versuchen die Abläufe anzupassen: Die für die EEG zuständige Kollegin hat den längsten Arbeitstag, weil sie versucht, jede Minute mit Strom zu nutzen. Es fehlt auch an Medikamenten. Etwa 40 Prozent der Kinder mit neurologischen Störungen haben eine epileptische Komorbidität. Doch seit Monaten ist kein Carbamazepin mehr erhältlich.
Auch Buntstifte, Papier und Knetmasse für Beschäftigungstherapie und Schulung der Feinmotorik sind Mangelware. Die schwierige Verkehrssituation behindert uns zusätzlich: Bis 2019 übernahmen die Gemeindeverwaltungen der Provinzen den Transport von Kindern unentgeltlich. Das ist wegen des Treibstoffmangels nicht mehr möglich. Wir können nicht alle Kinder behandeln, die unsere Unterstützung brauchen. In Kuba wie auch weltweit ist die Zahl von betroffenen Kindern auf dem Autismus-Spektrum, besonders seit der Coronapandemie, erheblich gestiegen.
In Kuba gibt es in jeder Poliklinik einen Rehabilitationsraum. Aber nicht die notwendige Spezialisierung und Ausrüstung, nicht das Behandlungsprotokoll, das wir normalerweise hier pflegen. Kinder aus dem ganzen Land kommen hierher in unsere Klinik.
Was bedeutet das für die Eltern?
Eine Mutter aus dem weit entfernten Santiago de Cuba ist mit ihrer kleinen Tochter für ein Jahr in Cárdenas eingemietet, und ihr Mann arbeitet dort, um sie zu unterstützen. Das ist in der aktuellen Situation sehr schwierig. Die US-Blockade nimmt uns auch die Möglichkeit, unsere Arbeit landesweit zu vereinheitlichen. Eine nationale Erhebung, in die wir eingebunden sind, soll aber bis Ende 2026 abgeschlossen sein, um dem Gesundheitsministerium Empfehlungen für ein nationales Programm zur Betreuung von Kindern mit unterschiedlichen Fähigkeiten zu geben. Das soll Kindern, einschließlich jener mit Autismus-Spektrum-Störungen, von der Geburt bis zum Jugendalter helfen.
Wie viele Kinder behandeln Sie in Ihrer Klinik?
Täglich sind es etwa 200 Kinder. Bis Fortschritte sichtbar werden, kann es mitunter Jahre dauern. Es stellt zufrieden, wenn ein kleiner Junge, der im Alter von drei Jahren ein Entwicklungsalter von 18 Monaten hatte, mit vier Jahren ein Entwicklungsalter von zwei Jahren und drei Monaten hat. Mit fünf Jahren erreichen wir dann Entwicklungsschritte, die dem eigentlichen Alter voraus sind – ein echter Erfolg. Um so lange geduldig dabei zu bleiben, muss man diese Arbeit allerdings als Berufung verstehen.
Ihre Behandlung zielt darauf ab, Kinder mit Behinderungen »kompetent und unabhängig« zu machen. Was bedeutet das in der kubanischen Gesellschaft?
Das bedeutet, im Erwachsenenalter eine Tätigkeit ausüben zu können, die die eigene Lebenserhaltung ermöglicht und entsprechend den Möglichkeiten wirtschaftlich unabhängig zu sein. Es bedeutet, idealerweise, auch einen Berufs- oder Universitätsabschluss machen zu können, Partnerschaften und Familienplanung zu ermöglichen.
Welche Rolle spielt Ihr Projekt auf der Finca dabei?
Auf dem Hof können wir klimatotherapeutisch arbeiten: Die Kinder können ihre Fähigkeiten in natürlicher Umgebung und über ihre Vorlieben ausbauen. Manche mögen Pflanzen, andere Steine. Dann gibt es dort tiergestützte Therapie: Wir hatten ein Team, das mit verschiedenen Vögeln, Hühnern und Kaninchen gearbeitet hat. Es gab sogar ein kleines Krokodil. Kinder mit Sprachschwierigkeiten und Störungen des Sozialverhaltens werden durch die Tiere stark motiviert.
Seit einiger Zeit können wir nicht mehr in die Finquita gehen. Öffentliche Verkehrsmittel sind zu teuer, ein Auto haben wir nicht. Diese Stadt lebt von Pferdekutschen und alten Autos, aber eine einfache Fahrt dorthin kostet für jedes Kind 500 Pesos. Das kann keiner bezahlen. So haben wir die Therapiemöglichkeiten auf der Finca verloren.
Wie sieht die kubanische Gesellschaft Menschen mit Behinderung?
Es ist wie überall: Mit dem, was anders ist, tun sich viele schwer. Obwohl Kuba in dieser Hinsicht ein Land mit einer sehr fairen und gerechten Gesellschaft ist. Ein wichtiges Ziel ist daher, Akzeptanz zu schaffen. Wir beziehen dafür eine wichtige Gruppe von sozialen Einrichtungen, Kultur, Bildung, Sport sowie Künstler und Handwerker mit ein. Auch private Klubs, die junge Leute im Umgang mit Computern schulen. Mitunter mussten wir uns sehr für die jungen Menschen stark machen.
Was braucht die Klinik, um ihr Angebot wieder zu vervollständigen?
Es ist wichtig, den Transport zur Finquita und das dortige Team zurückzubekommen. Dafür brauchen wir ein eigenes Fahrzeug. Und zweitens brauchen wir Solarpaneele, um die Stromversorgung in der Klinik zu gewährleisten. An Sonne fehlt es in Kuba schließlich fast nie.
Jorge Rodríguez Fernández ist Kinderarzt und Leiter der Klinik »Rosa Luxemburgo« in Cárdenas
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