Koordiniert via Ramstein
Von Karim NatourDer von den USA geführte globale »Krieg gegen den Terror«, der nach dem Anschlag des 11. September 2001 auf die Twin Towers in New York folgte, überzog Afghanistan, Pakistan, Irak, Syrien, Libyen, Somalia und Jemen mit Krieg und Elend. Das Watson Institute for International and Public Affairs der US-amerikanischen Brown University schätzte 2023, dass durch die Kriege nach »9/11« über 900.000 Menschen direkt getötet und rund 38 Millionen Menschen vertrieben wurden. Rechnet man zusätzlich indirekte Nachwirkungen durch Zerstörung der Ökonomie, der öffentlichen Versorgung, der Infrastruktur sowie kriegsbedingte Krankheiten ein, kommt man laut Watson Institute auf über 4,5 Millionen Tote.
Ab 2002 begannen die USA im Jemen im Rahmen des »Kriegs gegen den Terror« Anschläge mit Drohnen zu verüben. Mit der Frage, ob die Bundesregierung mitverantwortlich für durch US-Drohnen getötete Zivilisten ist, beschäftigte sich am Dienstag das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Denn die unbemannten Fluggeräte werden zwar von Piloten in den USA ferngesteuert. Damit das Signal aber in Ländern wie zum Beispiel Jemen ankommt, wird es per Unterwasserkabel an eine Satellitenrelaisstation geschickt, die es an die Drohne im Einsatzgebiet weiterleitet. Diese Station befindet sich in Deutschland – auf dem US-Militärflugplatz im pfälzischen Ramstein. Bisher weist die Bundesregierung jede Verantwortung für durch US-Drohnen getötete Zivilisten zurück. 2015 begann Saudi-Arabien mit der Bombardierung des bettelarmen Landes. Über 25.000 Luftangriffe wurden bis zu einem Waffenstillstand im Jahr 2022 durch die von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten geführte Koalition durchgeführt – auch mit aus den USA gesteuerten Kampfdrohnen.
Ob die Bundesregierung wegen Ramstein ihre Schutzpflicht gegenüber Zivilisten im Ausland verletzt, muss jetzt das Bundesverfassungsgericht klären. Konkret ging es um eine Verfassungsbeschwerde von zwei jemenitischen Staatsbürgern. Zwei Verwandte von ihnen waren im Sommer 2012 im jemenitischen Dorf Khashamir durch US-Drohnen ermordet worden. Wegen der bedeutenden Rolle von Ramstein sehen die Kläger die Bundesregierung in der Verantwortung.
Seit 2014 gehen sie an deutschen Gerichten gegen die Einsätze vor. 2019 hatte das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden, dass Deutschland eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht für potentielle Betroffene von über Ramstein gesteuerten US-Drohneneinsätzen trägt. In der Revision hob das Bundesverwaltungsgericht dieses Urteil 2020 auf, woraufhin die Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingereicht wurde. Unterstützt werden die beiden Jemeniten vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Andreas Schüller, der die Verfassungsbeschwerde für das ECCHR koordiniert, erklärte, Ramstein sei ein »ganz zentrales Element« im Drohnenprogramm. Die »ganzen Daten zu den Drohnen hin und von den Drohnen zurück laufen über Ramstein«. Auch würden dort von Hunderten Soldaten Satellitenbilder ausgewertet.
Die Bundesregierung sieht sich indessen nicht in der Verantwortung. Das Argument ist dasselbe wie im Fall der durch israelische Angriffe getöteten Palästinenser im Gazastreifen und deutscher Waffenexporte: Die Regierung habe »wiederholt die Versicherung eingeholt, dass (…) die US-Streitkräfte bei ihren Aktivitäten geltendes Recht einhalten«, erklärte das Verteidigungsministerium in einer Mitteilung vom Dienstag. Staatssekretär Thomas Hitschler ließ bei der Verhandlung durchblicken, warum ein Urteil gegen die Regierung zum Problem werden könnte: Eine starke Präsenz von US-Truppen in Deutschland sei unverzichtbar. Wäre Deutschland verpflichtet, »weltweit nach den Maßstäben des eigenen Verständnisses des Völkerrechts die Einsätze zu kontrollieren«, hätte das erhebliche Konsequenzen für die militärische Bündnisfähigkeit. Ein Urteil soll erst in einigen Monaten gesprochen werden. Es könnte wegweisend für andere Kriege sein, in denen Menschen durch deutsche Apathie getötet werden.
Hinweis: In einer ersten Fassung des Beitrags war an einigen Stellen fälschlich die Abkürzung BGH verwendet worden, die nicht das hier zuständige Bundesverfassungsgericht sondern den Bundesgerichtshof bezeichnet. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. (jW)
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Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden und die Klage des Verlags 8. Mai abgewiesen. Die Bundesregierung darf die Tageszeitung junge Welt in ihren jährlichen Verfassungsschutzberichten erwähnen und beobachten. Nun muss eine höhere Instanz entscheiden.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralf S. aus Gießen (17. Dezember 2024 um 22:45 Uhr)Staatsräson übertrumpft doch alles. Ohne den (bürgerlichen) Rechtsstaat grundsätzlich in Frage stellen zu wollen, aber bei Angelegenheiten dieser staatspolitischen Tragweite wissen die Richter und Richterinnen doch, was für Konsequenzen entsprechende Urteile hätten und sie sind ja leider nicht wie Justitia mit einer Binde vor den Augen, die wissen, wer Kläger und wer Beklagter ist. Also werden die Damen und Herren in den Roben schon ihre intellektuelle Befähigung zu nutzen wissen, das ganze argumentativ so hinzubiegen, dass es irgendwie legal sein soll.
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