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Aus: Ausgabe vom 18.12.2024, Seite 7 / Ausland
Nahost

Diplomatie mit Terroristen

Nahost: EU und zahlreiche Mitgliedstaaten nehmen Kontakt zu neuen Machthabern in Syrien auf. Verhandlungen um Waffenruhe in Gaza
Von Wiebke Diehl
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Abschied von Assad: HTS-Kämpfer beten am Rande der Siegesfeiern auf dem Omaijaden-Platz (Damaskus, 10.12.2024)

Berlin geht in die vollen: Obwohl die neuen Machthaber Syriens von der dschihadistischen Miliz Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) auf der UN-Terrorliste stehen und mit EU-Sanktionen belegt sind, wollte man bereits am Dienstag Gespräche mit Vertretern der syrischen Übergangsregierung führen, wie eine Sprecherin des Bundesaußenministeriums bekanntgab. Man beobachte »die Aktivitäten der HTS und der HTS-eingesetzten Übergangsregierung genau«. Diese agierten bislang »umsichtig«. Auf seit einer Woche von ihr und weiteren dschihadistischen Milizen verübte Hinrichtungen Angehöriger von Minderheiten und syrischer Soldaten ging die Bundesregierung nicht ein. Mit der offiziellen Aufnahme diplomatischer Kontakte zur HTS und mit ihr verbündeter dschihadistischer Milizen folgt Deutschland den USA, Großbritannien und Frankreich, die bereits am Wochenende den Aufbau von Beziehungen publik gemacht hatten. Auch die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni hat in Aussicht gestellt, mit den neuen Machthabern zusammenzuarbeiten.

Die Sprecherin des Auswärtigen Amtes kündigte am Dienstag weiterhin an, man plane Treffen mit Vertretern der syrischen Zivilgesellschaft und christlicher Gemeinden. Zudem wolle man »Möglichkeiten einer diplomatischen Präsenz« in Damaskus ausloten, so die Sprecherin weiter. Die deutsche Botschaft in Syrien war im Januar 2012 geschlossen worden. Am Dienstag erklärte auch die Außenbeauftragte der EU, Kaja Kallas, die EU-Delegation in der syrischen Hauptstadt wiedereröffnen zu wollen. Der Leiter der bislang vorwiegend im Ausland arbeitenden EU-Syrien-Delegation, der deutsche Diplomat Michael Ohnmacht, war bereits am Montag für Gespräche nach Damaskus gereist. Ebenfalls am Montag hatte Brüssel die HTS aufgefordert, »den russischen Einfluss« loszuwerden und die russischen Militärbasen im Land zu schließen.

Derweil kam aus Teheran die offizielle Nachricht, eine Wiedereröffnung der eigenen Botschaft stehe »nicht unmittelbar bevor«. Dies erfordere »im Vorfeld zunächst politische und sicherheitstechnische Vorbereitungen«, so Außenamtssprecher Ismail Baghai laut der Nachrichtenagentur ISNA. Nach ihrer Machtübernahme hatten dschihadistische Milizen Teherans Botschaft gestürmt und verwüstet.

Bereits am Montag war ein schriftliches Statement des gestürzten syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad aufgetaucht. Darin erklärte er, »zu keinem Zeitpunkt« über seinen Rücktritt oder eine Flucht nachgedacht zu haben. Am Morgen des 8. Dezember sei er auf dem russischen Luftwaffenstützpunkt Hmeimim in der Provinz Latakia eingetroffen. Als auch dieser verstärkt Drohnenangriffen ausgesetzt gewesen sei, habe Russland beschlossen, ihn nach Moskau auszufliegen – einen Tag nach dem Fall von Damaskus.

Während Israel in Syrien weiter Luftangriffe fliegt und syrisches Territorium besetzt, finden in Katar Gespräche über eine Waffenruhe im Gazakrieg statt. Israels Verteidigungsminister Israel Katz sagte in der Knesset, eine Vereinbarung mit der Hamas sei »näher denn je«. Gleichzeitig gab die israelische Armee an, einen Teil ihrer Truppen aus dem Südlibanon in den Gazastreifen zu verlegen. Laut einer Umfrage des israelischen Senders Channel 12 unterstützt eine Mehrheit in Israel eine Beendigung des Kriegs, sofern die Hamas alle Geiseln freilässt. Für einen Plan, der eine 60tägige Waffenruhe sowie die Freilassung von etwa 30 Geiseln vorsieht, sprachen sich 72 Prozent der Befragten aus.

Bereits am Wochenende hat das israelische Außenministerium wegen »antiisraelischer« Initiativen die Schließung seiner Botschaft in Dublin angeordnet. Irland hatte sich an die Seite Südafrikas gestellt, das Israel vor dem Internationalen Gerichtshof wegen Völkermordes verklagt hat. Im Frühsommer hatte Dublin wie auch Spanien, Slowenien und Norwegen Palästina als eigenständigen Staat anerkannt. In dem seit über einem Jahr andauernden israelischen Krieg gegen den Gazastreifen wurden bislang rund 45.000 Menschen getötet. Nach UN-Angaben waren 70 Prozent davon Frauen und Kinder.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (17. Dezember 2024 um 21:02 Uhr)
    Der Feind meines Feindes und die diplomatische Chaostheorie. In der Politik wie in der Physik gibt es Konstanten: Der Feind meines Feindes ist mein Freund – oder doch zumindest ein Kaffee-Date wert. Dass der Wertewesten plötzlich Gespräche mit syrischen »Übergangsregierungen« führen, die zufällig von einer Terrororganisation mit UN-Blacklist-Status kontrolliert werden, könnte man diplomatisch als Pragmatismus verkaufen. Eine Hand wäscht die andere, während die dritte Hand irgendwo nach Menschenrechten kramt. »Man beobachte genau«, heißt es im Berliner Außenministerium. Vor allem wohl, wer bei den Gesprächen wen nicht kritisiert. Dass gleichzeitig Minderheiten exekutiert werden? Zu unhöflich fürs Protokoll. Neue Allianzen entstehen, alte Wahrheiten bleiben: Balance ist alles – im sozialen Gefüge und auf diplomatischen Drahtseilen.

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