Send in the Clowns
Von Knut MellenthinMan kann den hierzulande üblichen Medien entnehmen, dass es in Syrien seit dem 8. Dezember eine hastig und fragil zusammengeschusterte »Übergangsregierung« gibt. Aber dass es außerdem eine »Exilregierung« – englisch: »Syrian Government in Exile« – gibt, wissen nur die Leser israelischer Zeitungen wie Dawar und Jerusalem Post. Und selbst sie hätten von der Existenz dieser Leute, über die sich fast gar nichts ergoogeln lässt, nicht erfahren, wenn diese nicht der exaltierten Meinung wären, sie seien – wörtlich! – »hebräischer als die Kinder Israels«, und Israel sei für den gesamten Nahen Osten »nicht das Problem«, wie man dort viele Jahre lang glauben gemacht worden sei, »sondern eher die Lösung«. Auch das ist wörtlich. Solche leichte Kost schmeckt den Regierungsstellen und Medien, die von Berufs wegen Turbopropaganda für »die einzige Demokratie des Nahen Ostens« zu machen haben, aber offenbar höchstens durchschnittlich gescheit und professionell sind.
Die eigentlich schon 1996 eingestellte israelische Gewerkschaftszeitung Dawar, die im Netz als Untoter fortgeistert, und die Tageszeitung Jerusalem Post, die gern mal die verwegenen und kompromittierenden Positionen des extrem rechten Flügels der Regierungskoalition apportiert, berichteten am 6. und am 12. Dezember: Es habe zu einem nicht genau genannten, aber nur wenige Tage zurückliegenden Zeitpunkt ein »Onlinemeeting« zwischen »Führern einer Gruppe namens Syrian Government in Exile« und der »israelischen Öffentlichkeit« stattgefunden. Dabei sei »die Vision einer beispiellosen Zusammenarbeit und eines gegenseitigen Verständnisses zwischen Syrien und Israel« angeboten worden. Dawar präzisierte: Mehr als hundert Israelis hätten »sich online mit Mitgliedern der syrischen Opposition getroffen, um die Möglichkeit eines Friedens zwischen Israel und einem Post-Assad-Syrien zu diskutieren«.
Einig sind sich beide Publikationen, dass ein Tom Wegner, Gründer eines »Middle East Centers«, das »Onlinemeeting« organisiert habe. Hilfreich ist das kaum: Zum Center kann Google uns nicht führen, und Tom oder Thomas Wegners gibt es weltweit wie Sand am Meer. Einer von ihnen war mal Pressesprecher des israelischen Premierministers und »Kommunikationsberater« des Verteidigungsministers. Anfangsverdacht?
Google ist überhaupt in dieser Angelegenheit auffallend wenig hilfreich: Ein »Syrian Government in Exile« (SGE) ist dort unauffindbar, wenn man von einer dünnen arabischen Facebook-Seite und Treffern absieht, die sich direkt auf die Jerusalem Post und Dawar beziehen. Dasselbe gilt für den angeblichen SGE-Präsidenten Dschamal Sabbagh, seine 15jährige Nichte Liora, die bei dem Onlinemeeting »die syrische Jugend« darstellen sollte, für SGE-Außenminister Amal Scharkasi, SGE-Generalsekretär und -Wirtschaftsminister Ahmed Patak und für SGE-Kommunikationsdirektor Siad Karim. Hitzahlen, wie sie jemand aufweisen könnte, der nie gelebt hat.
Diese »Exilregierung« sei 2019 gegründet worden, erfährt man immerhin aus beiden Medien. Mehr aber auch nicht. Vor allem rein gar nichts über deren Platz im hochkomplizierten Gestrüpp der »syrischen Opposition«, deren meiste Mitglieder auf der Terrorliste des US-Außenministeriums stehen oder bei Anwendung des Gleichheitsprinzips dorthin gehören würden.
Ein bisschen klingt das bisher Gesagte, als hätten vielleicht 100 naive, aber friedfertige Israelis mit ein paar syrischen Hochstaplern – und in diesem Moment ganz gewiss Konjunkturrittern – gechattet. Aber Vorsicht: Als einzigen »israelischen Sprecher«, der sich führend an dem Event beteiligt habe, nennt die Jerusalem Post den Knesset-Abgeordneten Ohad Tal. Der ist prominentes Mitglied der extrem rechten »Nationalreligiösen Partei – Religiöser Zionismus« und vertritt diese im strategisch wichtigen Parlamentsausschuss für Sicherheit und Außenpolitik.
Solange die israelische Werbung um die Menschen der Region so extrem arrogant, dumm und betrügerisch bleibt, ist nicht viel zu befürchten. Aber darauf sollte man sich nicht verlassen.
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