Einen vom Pferd
Von Peer SchmittGlücklicherweise ist »Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim« ein sichtlich unambitionierter Anime geworden. Hier soll nichts Unerhörtes erfunden werden, das die Leute ohnehin nur verwirrt. Schließlich ist vornehmlich Ralph Bakshis Trickfilmversion des »Herren der Ringe« aus dem Jahr 1978 für mich bis heute so ziemlich das einzige Konsumierbare aus dem Tolkien-Komplex geblieben. Das mag daran liegen, dass Bakshi sich mehr für die subkulturelle Pilzfresser-Hippie-Rezeption von Tolkiens Werk interessierte als für anmaßendes Worldbuilding wie in Peter Jacksons erster »Herr der Ringe« Trilogie. Dieses Worldbuilding verendete dann sowieso in den sumpfigen Schlachtpanoramen der »Hobbit«-Trilogie. Auch die betuliche edwardianische »Green World«-Prosa des Professor Tolkien selbst ist nicht übermäßig anziehend.
Für den Feinschliff an der Animeästhetik hat Warner die Dienste des Regisseurs späterer »Ghost in the Shell«-Serien, Kenji Kamiyama, in Anspruch genommen. Die Figurenzeichnung ist also sehr »japanisch« geraten und hat eine lustig altmodische Anmutung. Es ruckelt wie in alten Tagen der TV-Animes. Und das vor dem schwerfälligen Hintergrund der Burgzinnen und Belagerungstürme aus neuerer Generation digitaler Lückenfüllerei.
Bleibt noch »die Erzählung«. Sie ist einem unscheinbaren Appendix der Ringerzählung entnommen: die Geschichte von Helm Hammerhand, 9. König des Reiterreiches Rohan. Er regiert ungefähr zwei Jahrhunderte vor der Handlungszeit der Ringtrilogie. Das narrative Ziel ist denkbar schlicht: Wie kam die Festung Helm’s Deep (deutsch Helms Klamm) zu ihrem Namen? Durch eine Schlacht nach langer Belagerung. Die Belagerung füllt die Zeit zwischen zwei Zweikämpfen. Die Schlacht von Helm’s Deep wiederum ist der Kulminationspunkt des zweiten Teils der Jackson-Trilogie. Von der Festung gibt es sogar einen Lego-Bausatz, so kanonisch ist das.
Nun ist der »Herr der Ringe«-Kanon Angelegenheit des Privatgelehrtentums einer Gemeinde, die über ein Werk wacht, das für professionelle literarische Intelligenz zu keinem Zeitpunkt legitim war. Es gibt ein paar Ausnahmen. W. H. Auden mochte Tolkien und beschreibt auch, wie er einmal eine Vorlesung des Herren Professors besuchte, sich an kein Wort davon erinnern konnte, dafür aber sehr von dessen Vortrag einer langen Passage aus »Beowulf« beeindruckt war.
Ich schweife ab. Aber die Anlage der »Der Schlacht der Rohirrim« ist schließlich auch eine Abschweifung. In Tolkiens Chronik hat Helm Hammerhand eine namenlose Tochter. Im Film bekommt sie einen Namen und die Hauptverantwortung für Handlung und Erzählung verpasst. Héra heißt sie. Die Eingangserzählung, in der Originalfassung von Miranda Otto gesprochen (bei Peter Jackson spielt sie Rohans »Schildmaid« Eowyn; der Name soll »Freude an Pferden« bedeuten), berichtet davon, dass die Hauptfigur von Film und Schlacht in den Annalen von Rohan gar nicht erwähnt wird, dass es mithin die Geschichte gar nicht gibt, die in den folgenden zweieinhalb Stunden, nun ja, erzählt wird. Das ist immerhin eine noble Geste, sich aus der eigenen Geschichte davonzustehlen. So wie es die Heldin, zusammen mit ihrer wesentlichen Helferinnenfigur, ebenfalls eine »Schildmaid«, am Ende zu Pferde auch tut, nachdem die Dynastie und das narrative Ziel gesichert sind.
Man könnte meinen, die Einführung einer Kriegerin mit tragenden weiblichen Helferfiguren hätte am Ende noch eine feministische Agenda. Allerdings ist sie im Sinne der Erzählung so traditionalistisch wie nur irgendwas. Auch diese Tochter, die den belagerten Familienladen übernimmt, ist mindestens so auf das Schicksal namentlich des eigenen Vaters fixiert wie Elektra. Zeitgemäß immerhin ist das Davonstehlen, sich nichts groß erzählen zu lassen in Zeiten, da die Rechteverwertungsobligationen jeweiliger Vertragspartner der wahre Daseinsgrund der meisten Filme sind. So auch hier.
»Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim«, Regie: Kenji Kamiyama, USA/Neuseeland/Japan 2024, 134 Min., bereits angelaufen
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